Lieder als Familienfotos

Mit "Black Cadillac" schrieb Rosanne Cash ein Konzept-Album über den Tod ihrer Eltern, merkte aber bald, daß es nicht nur um ihre eigene Trauer geht

Sie hatte es immer gewußt. Daß Kreativität „nicht linearen Regeln“ gehorcht. Daß Songs auch „Postkarten aus der Zukunft“ sein können. Aber als im Frühjahr 2003 dieser schwarze Cadillac vor der Tür von Rosanne Cash hielt, da war das eben „keine subtile Referenz mehr“, sondern „eine ziemlich offene Andeutung“.

Sechs Wochen später nahm der Wagen June Carter Cash mit. Keine vier Monate später ihren Vater John R. Cash. Keine zwei Jahre darauf auch noch ihre Mutter, Vivian Liberto Cash Distin. Am 50. Geburtstag der Tochter. Die sagt: „‚Black Cadillac‘ war der erste Song, im Sommer folgte ‚Dreams Are Not My Home‘, nach Dads Tod ,Like A Wave‘, ,God Is In The Roses‘, ‚The World Unseen‘. Als alle anfingen zu sterben, schrieb ich die anderen Songs, wie für ein Konzept-Album. Für mich ist das immer noch das Nonplusultra, dieses eine Thema, dem du wie einer Erzählung folgen kannst – aber ich bin halt ziemlich old school.“ Sie lacht, trotz allem.

Schon 1979, auf ihrem Columbia-Debüt „Right Or Wrong“, hatte Rosanne Cash „Big River“ interpretiert, 1987 „Tennessee Flat Top Box“ sogar auf die Pole Position der Country-Charts gesungen. Doch ihr erstes – und dann auch letztes – Duett mit dem Vater sang Rosanne Cash erst in seinem letzten Lebensjahr, als ihn nur noch schierer Wille vors Mikro brachte. „September When It Comes“ hält sie heute für das „ultimative Familienfoto“.

Daß sie zum Schnappschuß für das 2003er-Album „Roles Of Travel“ überredet werden mußte, ist indes bezeichnend. „Meine Devise war immer: Don’t use dad“, sagt Cash. „Beute ihn nicht so aus, wie es Natalie Cole getan hat, mit diesem gruseligen ,Unforgettable‘. Aber John argumentierte: Es geht nur um diesen Song. Hör ihn dir an und denke nur deshalb über deinen Vater nach! Und er lag richtig.“

John? John Leventhal – Gatte, Produzent, Co-Autor – besetzt seit 1991 in New York die Rollen im Leben von Rosanne Cash, die in der Nashville-Dekade zuvor Rodney Crowell zukamen. „Ich habe viel von Rodney gelernt, aber irgendwann war unsere Beziehung mit im Studio. Mit John ist das nicht so ausgeprägt, weil wir gelernt haben, uns dessen sehr bewußt zu sein.

Die Situation wird entschärft, weil wir es offen aussprechen.“

Erstmals in der gemeinsamen Ära war jetzt auch ein anderer Produzent involviert. Leventhal war noch mit Michelle Branch beschäftigt, ein ungeduldiger A&R-Mann hatte Cash nahegelegt, sie könne doch in Los Angeles ein paar Songs mit Bill Botrell (Shelby Lynne) versuchen. Der Trip nach Kalifornien lag angesichts des Themas ohnehin nahe. Denn dort, bei ihrer Mutter in Ventura, war Rosanne Cash nach der Scheidung ihrer Eltern bis zum High School-Abschluß autgewachsen. „Es war auch deshalb eine sehr intensive Erfahrung. Und es beruhigte mich, daß die Songs auch den Musikern dort viel sagten. Denn ich fragte mich schon, ob nicht alles viel zu persönlich ist. In LA. wurde mir klar, wie universell diese Dinge sind.“

So gelang Cash mit „Bladk Cadillac“ ein Spagat. Denn die Tochter legt nicht nur „die Erfahrung des Verlusts“ bloß, sondern wettert – im Titelsong, in „Like Fugitives“ – auch gegen die öffentliche Vereinnahmung von Trauer. „Dieses obsessive Geschwätz über den Tod meiner Eltern – da wollte ich immer nur dazwischen rufen: Haltet doch bitte endlich die Klappe! Auch der Versuch, aus meinem Vater eine Ikone jenseits seiner Menschlichkeit zu machen. Dem mußte ich wirklich etwas entgegensetzen.“ Gegen das Gewese, Geraune, Getöse der öffentlichen Arena setzt sie jetzt nichts als Stille an den Schluß des Albums: 71 Sekunden für die 71 Jahre, die Johnny Cash und Vivian Liberto auf dieser Erde sein durften.

Nebenan, bei der 20th Century Fox, reifte derweil die andere Geschichte. Ja. sagt Cash, sie habe „Walk The Line“ vorab sehen dürfen – und „einfach nicht das Bedürfnis, diese schmerzliche Phase meiner Kindheit als Hollywood-Version zu sehen. Ich kann nicht mal sagen, ob der Film was taugt. Die Scheidung meiner Eltern, die Drogensucht meines Vaters, von Schauspielern in Entertainment verwandelt – das hat nichts mit mir zu tun.“ Das erkannt zu haben, ist vielleicht die größte Lebensleistung einer Tochter mit diesem Namen.

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