Literatur: Wo sind die Qualitäts-Titel geblieben?

Kein gutes Krimi-Jahr 2017. Aber aus Jamaika kam ein hervorragender Roman

Neulich landete eine Ankündigung im Postfach, in der ein deutscher Großverlag seinen neusten Thriller anbot, verfasst von einem zum „Rechtsprofessor“ aufgestiegenen Anwalt. „Der Todesmeister“ heißt das 500 Seiten schwere Konvolut, in dem es hauptsächlich um das geht, was man dem weiblichen Körper antun kann. Es handelt selbstredend von einem Serienmörder und wird mit folgendem Text beworben: „Er fängt sie. Er filmt sie. Er foltert sie.“ Zur Erklärung des Geisteszustands des Autors – immerhin ein offenbar glücklich verheirateter Vater von zwei Kindern – teilt der Verlag mit, er suche seine Inspiration gern auf Friedhöfen.

Dieses für 9,99 käuflich zu erwerbende Produkt, das man Roman nicht nennen mag, ist symptomatisch für den Niedergang eines Genres, das einmal angetreten war, zeitgenössische, der Straße abgelauschte Sprache in Mensch und Welt präzise sezierende Literatur zu verwandeln. Wo einst Hammett, Thompson und Ellroy waren, tummeln sich heute Serienmörder, nicht weniger durchgeknallte Dschihadisten, vom Weltschmerz besoffene schwedische Kommissare, vor allem aber Reiseführer für Venedig und die Bretagne, die, kaum erschienen, sofort mit öffentlich-rechtlichen Geldern verfilmt werden und abends zur besten Sendezeit die TV-Kanäle verstopfen. Es gibt Tage, da senden ARD und ZDF um acht und um zehn einen Krimi, während in den Dritten die Tatort-Endlosschleife eingelegt wird und auf Neo gleichfalls abendfüllend wiederholt wird, was man gerade im ZDF weggezappt hat.

Aus dem Limbo herausgepickt

Selbst Christian Koch, der Chef der renommierten Berliner Krimi-Buchhandlung Hammett, beklagt inzwischen die Überproduktion der Branche, die Qualitätstitel untergehen lässt. Tatsächlich bedroht die Flut des immer gleichen Schwachsinns die Auflagen besonders der kleineren Verlage und Nischen-programme, da, wie Koch weiß, der Kuchen nicht größer wird. Wobei es kurioserweise gerade die sind, die auf dem übersättigten Markt immer wieder Autoren finden, die dem Genre dann doch noch ein paar originelle Wendungen abgewinnen.

So auch in diesem nicht wirklich gesegneten Krimi-Jahr, in dem der bis dahin völlig unbekannte 47-jährige Jamaikaner Marlon James mit seinem Bob-Marley-Thriller „Eine kurze Geschichte von sieben Morden“ das absolute, Hi & Lo exemplarisch versöhnende Highlight setzte. Auf den Plätzen folgen Ottessa Moshfeghs „Eileen“ sowie die Ami-Veteranen Dave Zeltserman mit „Small Crimes“ und Tom Franklin mit „Smonk“, zwei Autoren, die kein Großverlag auch nur mit dem Arsch angekuckt und die stattdessen der kleine Pulpmaster -Verlag stilsicher aus dem Limbo herausgepickt hat.

Dennoch geschehen gelegentlich noch kleine Wunder. Im Stuttgarter Kultusministerium ist einem Bürokraten der heilige Sankt Philip erschienen, auf dass er verfüge, dass die schwäbischen Gymnasiasten im kommenden Schuljahr im Englischunterricht Tom Franklin studieren müssen. Um ihren Sinn für große Literatur zu schärfen.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates