Live! 60 Jahre Beatles in Hamburg

„Stream & Shout“: Auf der Bühne des Indra-Clubs werden die Beatles gefeiert. Vor 60 Jahren spielten sie ihr erstes Konzert in Hamburg.

Am 17. August 1960 spielten die Beatles ihr erstes Konzert in Hamburg. Damals standen sie – noch zu fünft mit dem Bassisten Stuart Sutcliffe und dem Schlagzeuger Pete Best – auf der Bühne des Indra-Clubs an der Großen Freiheit. Und von dort präsentiert die Hamburger Beatles-Expertin Stefanie Hempel 60 Jahre später die große Jubiläumsshow „Stream & Shout“. Mit Gästen wie dem Kaiser Quartett, Cäthe, Bernd Begemann, Jessy Martens, Billy King, Jimmy Cornett und Michèl von Wussow soll neben den großen Beatles-Hits auch die Original-Setlist jenes ersten Hamburger Abends der Band noch einmal auf die Bühne gebracht werden. Um 21h geht’s los.

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Die Geschichte jenes ersten Hamburg-Aufenthalts der Beatles – sie kehrten noch einige Male zurück –, ist mittlerweile Legende geworden. Eine Chronik der Ereignisse.

15. August 1960, Liverpool

Mimi Smith wirft sich im Flur ihres Hauses, das den Namen Mendips trug, vor ihren Neffen, um ihn daran zu hindern, das Haus zu verlassen. Die Beatles haben, wie er ihr erst vor wenigen Tagen mitgeteilt hat, ein Engagement in Hamburg, das ihnen ihr neuer Manager Allan Williams besorgt hat (sie waren eigentlich nur vierte Wahl, aber Rory Storm & the Hurricanes, Cass & the Cassanovas und Gerry & the Pacemakers konnten oder wollten nicht). Mimi, die sich um John kümmert, seit er fünf ist, hatte sich eine andere Zukunft für den Sohn ihrer Schwester Julia vorgestellt, die drei Jahr zuvor nach einem Besuch in Mendips auf dem Weg zur Bushaltestelle von einem Auto angefahren und tödlich verletzt worden war. Aber sie unterstützt ihn, wo sie kann, finanziert ihm auch sein Kunststudium, obwohl sie wenig davon hält. Aber John hat nur diese Band im Kopf.

Nach der Zusage aus Hamburg mussten die Beatles innerhalb von einer Woche zusätzlichen Verstärker und einen Schlagzeuger besorgen. Erstgenannten luchste John der Studentenvertretung des Liverpool College Of Art mit unlauteren Mittel ab. „Ich bring das Teil zurück, bevor es irgendwer merkt“, sagte er zu seiner Freundin June Harry, die wenig später aus der Vertretung fliegen sollte, weil es natürlich jemand merkt und John den Verstärker nie zurückbringt.

Den Schlagzeuger besorgte Paul. Er fand ihn im Casbah Coffee Club in West Derby, wo die Beatles im Sommer 1959 noch als The Quarrymen einige Samstagabende gespielt hatten. Der Sohn der Besitzerin Mona Best, Pete, besitzt ein Schlagzeug. Er hat das zwar schon lange nicht mehr gespielt, aber Paul konnte ihn überreden. Mehr Überzeugungsarbeit musste er bei seinem Vater Jim leisten. Paul war gerade mal 18 geworden und würde den Beginn des nächsten Schuljahrs verpassen (er hatte eh versäumt, sich für die Uni anzumelden) und auch keine Ausbildung antreten können – die 18 Pfund pro Woche, die die Beatles in Hamburg bekommen sollen, sind ein gutes Argument, schließlich übersteigen sie Jims Gehalt als Baumwollhändler um ein Vielfaches.

Stuart, gerade 20 geworden und somit der einzige in der Band, der kein Teenager mehr war, musste entscheiden, ob er seine Ambitionen als Künstler hintanstellen wollte, um mit seinem besten Freund John ein Abenteuer zu erleben, und der noch nicht volljährige George hätte eigentlich gar nicht fahren dürfen. Und Pässe brauchten sie auch noch!

Jim McCartney versichert sich, dass sein Sohn genügend Lebertrantabletten bei sich hat und nahm ihm ein Versprechen ab, regelmäßig zu essen, keinen Ärger zu machen und öfter mal zu schreiben.

Die Band trifft sich am Jacaranda, dem Club den Allan Williams seit 1957 in der Slater Street betreibt. Dort wartet der Manager mit seinem klapprigen beige-grünen Morris J2 Minibus, auf dem noch eine allmählich verblassende Werbung für eine Gene-Vincent-Konzert im Mai 1960 klebt. Er kriegt die nicht mehr ab, weil er den falschen Kleber benutzt hat. Allans Frau Beryl, ihr jüngerer Bruder Barry Chang und der Konzertpromoter und Calypso-Musiker Harold Adolphus Philips alias Lord Woodbine aus Trinidad gehören auch zur Reisegruppe. John ist der letzte, der eintrifft, weil das Büro, in dem er seinen Pass abholen muss, erst um halb zehn aufmacht.

Neun Passagiere, Gitarren, Verstärker und Klamotten – es dauert ein wenig, bis alles so ausbalanciert ist, dass der Wagen nicht in der nächsten Kurve umkippt. In London soll noch jemand zusteigen. Als sie endlich auf der A41 Richtung Süden sind, muss Williams ziemlich aufs Gas treten, damit sie die Nachtfähre von Harwich nach Hoek van Holland noch erreichen. Die Stimmung im Auto ist gut. „Where are we going Johnny?“ gröhlen Paul und George ihrem Bandleader entgegen. „We’re going to the toppermost of the poppermost!“ ruft der in Anlehnung an einen Slogan des Produzenten Dick Rowe zurück.

Über die A5 fahren sie Richtung London, kommen durch den Stadtteil Maida Vale, in dem, nur ein paar hundert Meter von ihrer Route, Cliff Richard und seine Band The Shadows in den Studios des Labels EMI an der Abbey Road eine Session spielen. In der Old Compton Street im Vergnügungsviertel, wo sich die berühmte „2i’s Coffee Bar“, Geburtsort des englischen Rock’n’Roll , befindet, hält Williams an, um den letzten Passagier, einen deutschen Kellner, der Steiner heißt oder so ähnlich, aufzusammeln und dann schnell weiter nach Harwich zu preschen.

16. August 1960, Harwich – Hamburg

Die Fähre erreichen sie. Aber die Hafenarbeiter weigern sich zunächst, den überladenen Bus mit dem Kran aufs Schiff zu heben. Williams kann sie schließlich überreden. An der holländischen Grenze gelingt es ihm sogar nach vierstündigen Verhandlungen, die Beamten davon zu überzeugen, dass seine Jungs, die natürlich keine Arbeitserlaubnis besitzen, nur kleine Studenten sind, die ein bisschen Urlaub machen wollen und nicht ohne ihrer Instrumente leben können.

Der Rechtsverkehr ist ein bisschen irritierend, so dass Williams gleich nach Ankunft auf dem Festland falsch abbiegt und den Wagen nach Osten, statt nach Westen lenkt, sodass sie schließlich auf dem Soldatenfriedhof von Oosterbeek bei Arnheim landen. John weigert sich auszusteigen, um sich die Gräber anzusehen. In der Stadt lässt er in einem Musikladen eine Mundharmonika mitgehen.

Nacht 36 Stunden Fahrzeit erreichen sie schließlich gegen Mitternacht St. Pauli. Die engen kopfsteinbepflasterten Straßen sehen fast aus wie die in Liverpool, aber all die bunten Lichter der Stripbars und Clubs sind aufregend anders. Sie halten vor dem Kaiserkeller an der Großen Freiheit. Derry & The Seniors aus Liverpool bereiten sich gerade auf ihren Auftritt vor, der Besitzer des Clubs, ein bulliger Mittdreißiger namens  Bruno Koschmider, führt sie wieder hinaus in die Nacht und zeigt ihnen das Indra, ein nach einer indischen Gottheit benanntes Cabaret-Theater, die Straße hoch, wo sie am nächsten Abend spielen sollen. Sie sind ein bisschen enttäuscht, wie klein der Laden ist. Es ist eher eine Bar als ein Club, eine strip-Bar, um genau zu sein. Man muss hier keinen Eintritt zahlen, um Musik zu hören, man geht hinein, trinkt was und geht wieder. Niemand kommt wegen der Musik. Wo sie bis dahin schlafen können? Koschmider zuckt die Schultern. „Hier im Indra vielleicht?“

17. August bis 1. Dezember 1960, Hamburg

Auf den Tag genau 20 Jahre nach dem ersten Luftangriff auf Liverpool spielen die Beatles zum ersten Mal auf der kleinen Bühne des Indra. Sie müssen ihre Verstärker ganz aufdrehen, denn die schweren Vorhänge hinter ihnen schlucken viel. Was aber auch besser ist, denn bei ihrem ersten gemeinsamen Auftritt stellen sie fest, dass ihr neuer Schlagzeuger den Takt nicht halten kann. Die gesamte Rhythmusgruppe ist eine Katastrophe, denn auch Stuart übt noch am Bass. Als müssen John, Paul und George sich den Rhythmus mit Fußtritten auf dem Bühnenboden selbst geben, was bald Probleme mit einer älteren Dame geben wird, die über dem Indra wohnte und bei dem ständigen Bumm-bumm-bumm nicht schlafen kann. Schließlich spielen die Beatles mit einigen halbstündigen Unterbrechungen jeden Tag von acht Uhr abends bis zwei. Nettospielzeit viereinhalb Stunden, am Wochenende sind es sogar sechs Stunden. An ihrem ersten Abend wundern sie sich noch, als mitten in einem Song plötzlich eine Stimme ertönt: „Wir machen darauf aufmerksam, dass um zehn Uhr alle Jugendlichen unter 18 Jahren das Lokal verlassen müssen.“ Aber sie gewöhnen sich bald dran.

Die Band nach der ersten Nacht auf den unbequemen Ledersitzen des Indra im Bambi Filmkunsttheater an der Paul-Roosen-Straße auf St. Pauli untergebracht. In zwei schäbigen fensterlosen Abstellkammern neben der Herrentoilette, die ihnen als Bad dient. An Mittagsschlaf ist nicht zu denken, weil sie jede Filmvorführung in voller Lautstärke hören können. John hat sich zusammen mit Stuart und George das etwas komfortablere Zimmer gesichert. Paul muss mit dem stillen Pete in die schäbige Kammer und fühlt sich ausgeschlossen. Seine Spitzen gegen Stuart, der musikalisch nichts drauf hat und zudem, das ist viel schlimmer, Johns bester Freund geworden ist, werden schärfer, auch Pete, der den Rhythmus nicht halten kann, kriegt auf der Bühne sein Fett weg.

Paul ist ziemlich unausstehlich in dieser Zeit. John scheint ihn sich jenseits der Bühne vom Leib zu halten. Lang vorbei scheint die Zeit, als sie gemeinsam bei Paul in der Forthlin Road oder bei John in Mendips eigene Lieder schrieben. John interessiert sich nicht mehr fürs Songwriting. Pauls Traum mit ihm ein gefeiertes Songwriter-Duo zu werden wie Rodgers und Hammerstein, scheint geplatzt. Sie spielen Rock’n’Roll-Stücke aus den Fünfzigern, denn die will man von ihnen hören. Jetzt wo Elvis beim Militär ist, Little Richard Gott gefunden hat und Chuck Berry im Knast sitzt, halten sie und all die anderen britischen Coverbands die Musik am Leben.

Jeder von ihnen hat ein „leichtes Mädchen“ an seiner Seite. John die Renate, Pete die Helga, George die Monika und Paul die Corri, deren Eltern das Restaurant „Blockhütte“ neben dem Indra Club betreiben. Trotzdem gibt es bei den Beatles selten mehr zu essen als Cornflakes. Ab und zu mal eine Hühnersuppe mit Einlage im „Haralds“, wo der ehemalige Boxer Horst Fascher, der anfangs als Türsteher für Koschmider arbeitet, sie öfter hinschleppt, damit sie nicht vom Fleisch fallen.

Stuart hält sich fern von den deutschen Mädchen. Bis er während einer Pause eines Abends – die Beatles spielen mittlerweile im mit Fischernetzen maritim ausgeschmückten „Kaiserkeller“ – mit einem deutschen Grafiker namens Klaus Voormann ins Gespräch kommt, der wiederum am nächsten Tag seine überaus hübsche Freundin Astrid Kirchherr und einen weiteren Freund, Jürgen Vollmer, mitbringt. Alle drei tragen schwarz, hören Jazz, machen Kunst. Stuart verliebt sich in Astrid und sie sich in ihn. Und das, obwohl sie kaum miteinander sprechen können, denn nur Klaus kann ein wenig Englisch (gegen die neue Liaison scheint er nichts einzuwenden zu haben, er streitet sich eh immer mit Astrid, wenn sie zusammen sind).

Bald kommen die drei jeden Abend und freunden sich auch mit den anderen Beatles an. Nur Paul, der zu ihnen zwar nett ist, aber ständig gehässige Bemerkungen gegen Stuart loslässt, mögen sie nicht besonders. Er wird immer mehr zum Außenseiter und ist ziemlich neidisch, weil er auch gern so eine schicke Freundin hätte, die zudem noch Fotografin ist und tolle Schwarz-weiß-Aufnahmen von ihm und John macht. George kauft sich eine Lederjacke und Cowboystiefel. Dann John, dann Stuart. Paul zieht nach. Eigentlich bräuchte er das Geld für eine neue Gitarre, weil seine auf der Bühne immer wieder den Geist aufgibt, so dass er mit dem Rücken zum Publikum am Klavier sitzen muss. Sein Idol Elvis hätte sowas nie gemacht. Stuart singt dafür im Spotlight „Love Me Tender“ und kriegt einen Extra-Applaus, obwohl es doch Paul ist, der mit einer manchmal eine halbe Stunde dauernden Performance von Ray Charles’ „What I’d Say“ den musikalischen Höhepunkt jedes Abends liefert. Einmal strecken sie den Song sogar auf anderthalb Stunden und jeder aus der Band geht mal ab, um sich was zu trinken zu holen.

Im Kaiserkeller teilen sich die Beatles ihre Schicht mit einer anderen Band aus Liverpool – Rory Storm & The Hurricanes. Die haben richtige Bühnenoutfits und einen fantastischen Schlagzeuger, mit dem sich die Beatles anfreunden. Er trägt einen Bart, sieht sehr erwachsen aus und hat einen Künstlernamen: Ringo Starr. Wenig später stehen sie mit ihm in einem kleinen Tonstudio, das sich über den Büros des Lederwarenherstellers Klockmann in der Kirchenallee 57 am Hamburger Hauptbahnhof befindet. Der Bassist und zweite Sänger der Hurricanes, Lu Walters, will dort ein paar Songs aufnehmen, um sie an Londoner Künstleragenturen zu schicken – er strebt eine zweite Karriere als Nachtclub-Crooner an – und hat Lennon, McCartney und Harrison gefragt, ob sie ihn nicht mit Starr am Schlagzeug bei diesen Aufnahmen begleiten wollen. Die ersten drei Songs, die die späteren Fab Four gemeinsam aufnehmen, sind der Peggy-Lee-Hit „Fever“, Kurt Weills „September Song“ und George Gershwins „Summertime“.

Mit ihrem Boss Bruno Koschmider verstehen die Beatles sich nicht so gut wie mit ihren Musikerkollegen. Er führt sogar Buch über all ihre Verfehlungen. Die eh schon verkommene Absteige, in der sie hausen müssen, haben sie noch weiter runtergerockt, es riecht überall nach Zigaretten und Erbrochenem, und auf der Bühne halten sie sich mit unflätigen Bemerkungen und Nazi-Witzen nicht zurück – don’t mention the war! Koschmider hatte sie zwar zu Beginn ihrer Zeit in Hamburg mit seinen „Mach Schau!“-Rufen angespornt, nicht wie die Ölgötzen auf der Bühne zu stehen, aber das geht nun wirklich zu weit.

Außerdem bandelt ihr Manager, Allan Williams, mit dem „Top Ten Club“ an, wo auch Horst Fascher mittlerweile als Geschäftsführer arbeitet. Koschmider droht Best und McCartney, ihnen die Finger zu brechen, wenn sie nicht unterschreiben, dass sie nie wieder irgendwo in Hamburg auftreten werden. Die weigern sich und spielen End Oktober erstmals im Club an der Reeperbahn. Koschmider kündigt ihnen daraufhin den Vertrag vorzeitig zum 1. Dezember und steckt den Behörden, das George minderjährig ist, und man bittet den milchgesichtigen Gitarristen, das Land zu verlassen. Stuart und Astrid verabschieden ihn am Bahnhof und geben ihm Obst und Süßigkeiten für die Reise mit.  Die Beatles müssen die letzten Konzerte im Kaiserkeller ohne ohn spielen und tun alles, um die Holzbühne des Clubs mit Tritten zu zerstören. Rory Storm & The Hurricanes helfen, mit und ihr Bandleader ist es schließlich, der das erste Bühnenbrett zertritt.

Pete und Paul wollen Koschmider einen letzten Gruß hinterlassen. Als sie ihre Sachen aus dem Bambi-Kino holen, hängen sie ein Kondom an einen verrosten Nagel im Flur und zünden es an. Ihr Hausherr hetzt die Polizei auf sie, sie verbringen die Nacht in der Davidwache und werden am nächsten Tag, dem 1. Dezember 1960, ausgewiesen. Immerhin werden sie mit dem Flugzeug nach Hause geschickt, aber ihre Instrumente müssen sie zurücklassen. John folgt einige Tage später mit dem Zug. Stuart bleib erstmal in Hamburg bei seiner Verlobten Astrid und kehrt erst im Januar heim.

Weiterführende Literatur:

Spencer Leigh: “The Beatles In Hamburg. The Stories, the Scene and How It All Began” (Chicago Review, 2011)

Mark Lewisohn: „The Beatles. All These Years. Volume 1: Tune In“ (Little Brown, 2015)

Horst Fascher: “Let The Good Times Roll” (Heyne, 2007)

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