Loddars Heimkehr

Der verspottete Schwerenöter zeigt sich in "Lothar - immer am Ball" als gefühliger guter Sohn

Irgendwann muss jemand beschlossen haben, dass man sich ungestraft über Lothar Matthäus lustig machen darf. Matthäus ist Rekordnationalspieler – er stand in 150 Spielen für Deutschland auf dem Platz – und Weltmeister von 1990. Damals kickten viele lachhafte Typen in Beckenbauers Truppe: Rudi Völler, den sie „Tante Käthe“ nannten, „Professor“ Olaf Thon, der grobe Andreas Brehme, der wehleidige Jürgen Klinsmann. Matthäus war der Kapitän der Mannschaft, er wurde der einzige Watschenmann. Er machte Reklame für American Express und sah auf den Fotos von Annie Leibovitz aus wie ein Latin Lover. Dann spielte er auch in Italien, als er sich daheim schon ziemlich unbeliebt gemacht hatte. Weil Matthäus gern über sich selbst sprach und das sehr schnell und im fränkischen Idiom, nannte Harald Schmidt ihn „Loddarmaddäus“. Die Ehe-Wirren um ihn und seine schöne Frau Lolita gerieten zum Klamauk. Seitdem sucht Lothar immer wieder denselben feurigen Frauentypus. Und nach dem Ende seiner Spielerkarriere sucht er meistens einen Verein, den er trainieren darf.

Seit zehn Jahren ist Matthäus ein Boulevard-Gespenst. Oliver Kahn hat seine Libido in den Griff bekommen und darf heute fürs ZDF kommentieren – Matthäus trieb es immer toller. All seine Gefährtinnen tragen riesige Sonnenbrillen, sehr kleine Jeans und geräumige Handtaschen, die meisten sind größer als Lothar. Die Frauen werden immer noch exotischer und jünger und sprechen kaum Deutsch; Matthäus spricht dafür nur schütteres Englisch. Als er zum Ende seiner Karriere bei Cosmos New York anheuerte, blamierte er sich mit seinem Geplapper – es war genau das Englisch, das man überall auf der Welt von deutschen Touristen hört. Matthäus tritt auch ungewollt so brüsk und tolpatschig auf wie Pauschalurlauber; er versteht die diplomatische Rede nicht, gibt sich aber spürbar Mühe, nichts Ungeschicktes zu sagen.

Doch wie Donald Duck tapert dieser Mann, der verzweifelt die Öffentlichkeit sucht, von einer Peinlichkeit in die andere. Er war Trainer in Serbien, Ungarn, Bulgarien, Brasilien und Israel – das ist nicht ungewöhnlich im Fußball-Gewerbe. Die Landessprache muss niemand beherrschen – jeder Trainer labert in irgendwelchen Mischformen und ist bald schon in einem anderen Land, oft mit demselben Assistenten. Bei Lothar wirkte es offenbar unendlich komisch, wenn er ein ausländisches Team befehligte. Leiter der deutschen Nationalmannschaft durfte er nicht werden, die Bundesliga meidet ihn als Reizfigur und Medienkatastrophe. Uli Hoeneß sprach das Verdikt aus, er werde Matthäus nicht einmal als Greenkeeper bei Bayern München beschäftigen. In München hatte Lothar schöne, erfolgreiche Jahre – aber stets kommentierte er Vorgänge bei dem heiklen Verein, in dem Hoeneß allein spricht. Lothar Matthäus ist jetzt 51 Jahre alt, hat gerade keine Arbeit und viel Zeit. Die Fernseh-Dokumentation „Lothar – immer am Ball“ orientiert sich an Vorbildern wie der Doku-Soap über das Ehepaar Effenberg in den USA. Die Effenbergs sind ähnlich stigmatisiert wie Lothar und dessen Gefolgschaft: neureich, geschmacklos, laut und arrogant.

Lothar ist gerade verliebt in eine neue Freundin, Joanna, die selbstverständlich radebricht und neben ihm stöckelt. Vox zeigt ausgewählte Momente ihres Lebens. Zum Beispiel fährt Lothar in seine Geburtsstadt Herzogenaurach und geht auf den Hof, auf dem er früher gebolzt hat, bis die Fensterscheiben kaputt waren. Er zeigt das Geburtshaus und spielt Ball mit einem Jungen, dann kommen ein junger Mann, der ihn nur aus dem Fernsehen kennt, und eine ältere Dame, die sich gut an den Knaben erinnern kann. Sie duzt Lothar, sie hat keine Scheu. Der Vater sagt zu seinem Sohn: „Das ist ein ganz berühmter Fußballspieler!“ Lothar sagt: „Ich war mal ein ganz berühmter Fußballer, jetzt nicht mehr.“ Er tritt den Ball, er ist freundlich und umgänglich, er gibt nicht an.

Dann fährt er zur Schule des Ortes, die sich in 35 Jahren kaum verändert hat. Sein früherer Sportlehrer ist erst 62 und sieht glänzend aus – er erinnert an den Rekord im Weitsprung, den Lothar noch immer mit 6,08 Metern hält. Im ehemaligen Klassenzimmer verkündet Lothar grinsend, dass er neben einem hübschen Mädchen saß und stets abgelenkt war. Jetzt freut er sich, während Joanna „Lothar ist nett“ auf die Kreidetafel schreibt. „Ah, sie hat Talent!“, ruft Lothar, der Raumausstatter lernte, bevor er Fußballprofi wurde.

Dann fährt er am Grundstück seiner Eltern vor. Die beiden alten Leute werden derb begrüßt, die Mutter spricht nach einem Schlaganfall nicht mehr gern. Der Vater ist so schroff und störrisch wie der Sohn. Im Jogging-Anzug zeigt er das Gemüse im Garten, das sie allein nicht mehr essen können. „Er weiß, dass er stur ist“, sagt der Sohn. „Aber ich weiß, dass er auch liebenswert ist. Das ist immer noch mein Zuhause. Wenn ich hier bin, schlafe ich hier.“ Und Joanna schläft hier auch, sie bewohnen das Gästezimmer. Lothars schmales Kinderzimmer ist beinahe unverändert. „Das ist die alte Decke“, sagt er.

Dem Fußballverein Herzogenaurach geht es nicht gut; Matthäus trainiert deshalb eine halbe Stunde die Buben und ist dabei streng und konsequent; dann tritt er bei einem Freundschaftsspiel an und zerrt sich den Oberschenkel.

Man kann den Lothar aus Herzogenaurach nehmen. Aber niemals Herzogenaurach aus dem Lothar.

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