Lollapalooza 2015: So war der Samstag – mit The Libertines, FFS, Chvrches uvm.

Premiere für das Lollapalooza in Berlin: Am 12. September spielten FFS einen großartigen Auftritt, hatten Deichkind die größte Show und stellten sich alle die Frage, ob The Libertines auch erscheinen würden.

FFS

Auch wenn Sie behaupten, „Collaborations Don’t Work“ (und den eh schon witzigen Song zu einer hinreißenden Comedy-Nummer verziehen), sind FFS natürlich das Paradebeispiel dafür, wie diese häufig so alberne und nicht selten missratene Form der musikalischen Zusammenarbeit gelingen kann. Natürlich passen Franz Ferdinand (Gründungsjahr: 2001) und die Sparks (Gründungsjahr: 1971) zusammen wie Glam und Rock. Wie selbstverständlich fließen nur die stilistischen Stärken ein, alles Bräsige kommt ins Kröpfchen.

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Deshalb glänzt „Johnny Delusional“ und darum wird der Schlussakkord mit „Piss Off“ zum definitven Festival-Kracher dieser Lollapalooza-Premiere. Auf der Bühne wirkt das Zusammenspiel der Musiker, als hätte man sich erst gestern spontan in einer Glasgower Kneipe oder in einem Diner in Los Angeles verabredet, um gemeinsame Sache zu machen. Und niemand könnte glücklicher darüber sein als Sparks-Sänger Russell Mael, der in seinem Zebrastreifen-Poncho unablässig lächelt. Es ist sein großer Auftritt (wenngleich die Miesepetrigkeit, mit der sein Bruder Ron am Keyboard sitzt, das nur nicht mit der gleichen Emotion verknüpfte Glück verdoppelt; zurück im Pop-Zirkus, ohne sich für irgendjemanden verbiegen zu müssen), sein Spiel mit dem Publikum. Da hält sich selbst Stilist Alex Kapranos fein zurück.

Selbstverständlich bleibt Platz für „This Town Ain’t Big Enough For Both Of Us“, ohne Zweifel klatscht das junge Publikum aber wesentlich ausgelassener bei „Take Me Out“. Doch dass zwischen beiden Bands nicht nur ein gewaltiger Altersunterschied, sondern vor allem auch eine sich in eine völlig andere Richtung entwickelnde Musikgeschichtsschreibung steht, spürt man keine Sekunde. Auch eine Form der Kunst. (mv)

Chvrches

Dass Chvurches in der Running Order direkt auf ihre Stadtkollegen von Franz Ferdinand folgen, ist irgendwie nachvollziehbar, zeugt es doch von der außergewöhnlichen Hochblüte, die Glasgow dem Musikmarkt in den letzten Jahren bescherte. Das Elektro-Pop-Trio setzt zwar auf völlig andere Töne als die Post-Punker, ist aber genauso clever und stilsicher. Und damit ist nicht nur das für die Google-Suchmaschine so praktische Churches-V gemeint. Sängerin Lauren Mayberry singt mit geradezu sentimentaler Inbrunst, beschwert sich lachend über den Sound, der von den auf einer anderen Bühne spielenden Bastille hinüberschwappt und wirkt schon allein wegen ihrer zierlichen Gestalt zunächst wie ein Fremdkörper zwischen ihren muskulösen Kollegen. Die allerdings sorgen für die durchaus harten Beats und scharfen (aber seltenen) Gitarrenströme, die so manches Lied vor dem reinsten Kitsch bewahren.

Natürlich werden „Lies“ und „The Mother We Share“, die Riesen-Hits aus ihrem Album „The Bones Of What You Believe“, gespielt – letzterer als komfortabler Rausschmeißer. Viele Songs vom der neuen Platte („Every Open Eye“ erscheint am 25. September, war aber zuletzt unglücklicherweise schon geleakt) werden aber leider ausgelassen, dabei wirken sie – wie der Opener „Clearest Blue“ – taufrisch, konzentriert und wahnsinnig ausgereift. Zuletzt ließen sich Muse zu einem (wirklich guten) Cover von „Lies“ hinreißen. Ob sie es am Sonntag bei ihrem Headliner-Auftritt als Reminiszenz spielen werden? (mv)

Dog Blood

Dubstep-Superstar Skrillex spielt zusammen mit dem Berliner Boys Noize unter dem Namen Dog Blood ein rasantes EDM-Set, jene hysterisch-melodische Techno-Spielart, mit der man in den USA derzeit Stadien füllen kann. Brachial vermischen die beiden hinterm DJ-Pult Prodigy, Daft Punk und Funk-Samples, bei den effektiv gesetzten Breaks züngeln Flammen über die Leinwände, Nebelkanonen schießen aus vollem Rohr an die Bühnendecke statt einfach nur atmosphärisch aus der Ecke zu wabern. Maximaler Tumult, gegen den die zeitgleich auf der Hauptbühne auftretenden Deichkind geradezu brav wirken. (fp)

Deichkind

Deichkinds Beats und Bässe bollern gewaltig, der Kostüm-Überschwang und die oft gesehene Choreographie der altgedienten Festival-Veretranen wirken allerdings mittlerweile so routiniert, dass man ihnen raten möchte, doch mal was anderes woanders zu versuchen, ein Musical am Staatstheater vielleicht. Songs wie „Leider Geil“ und „Bück dich hoch“ sind mittlerweile schließlich so etwas wie deutsche Klassiker, was man auch daran merkt, dass das Publikum die moderate Sozialkritik in jedem noch so derangierten Zustand textsicher mitsingen kann. Vielleicht doch lieber Ballermann? (fp)

Macklemore & Ryan Lewis

Was macht man, wenn man im Establishment angekommen ist und als Headliner gegen die im Show-Vergleich geradezu ameisenhaft daherkommenden The Libertines spielt? Vielleicht spielt man seine Nummer-Eins-Hits, wann sie eben passen und nicht, wie gewöhnlich, an prominenter Stelle – so wie Macklemore & Ryan Lewis es mit „Thrift Shop“ lässig vormachen. Auch ein Jahr nach dem großen Erfolg (zur Erinnerung: der Song ist auch eine beißende Anklage gegen den Materialismus des Rap-Genres) fehlt Macklemore allerdings das rechte Timing, mit seinem aufgepeitschten Publikum angemessen umzugehen. Erst macht er sie mit Worten, Gesten, Bewegungen heiß, dann verschwindet er minutenlang von der Bühne.

Inzwischen ist der HipHopper stolzer Vater eines Töchterchens geworden, was er stolz auch den Festivalbesuchern erklärt und dann direkt seiner Kleinen einen Song widmet. Manchmal wirkt es allerdings doch beunruhigend, dass Macklemore, der sich in epischer Breite, nahezu 15 Minuten, bei seiner Band und vor allem „Genie“ Ryan Lewis bedankt, zuweilen mehr mit Ansagen verbringt als mit dem Rappen. „Can’t Hold“ Us funktioniert aber immer noch formidabel als ausschweifendes Feierbiest. (kb/mv)

The Libertines

Da stehen sie nun, die boys in the band, die likely lads, die Verfechter von Albion. Bei einer Band, deren Mythologie und ikonografisches Auftreten so wichtig – womöglich sogar wichtiger – ist als die Musik selbst, mutet es wie eine übernatürliche Erscheinung an, diese Gestalten nach all den Jahren lebendig auf einer Bühne zu sehen. Schlagzeuger Gary Powell und Bassist John Hassall haben sich optisch gut gehalten; der oberkörperfreie Powell trommelt wie bescheuert auf sein Kit ein, der stoische Hassall bildet einen Energie-Gegenpol und hat im Verlauf des Abends vielleicht einen Bewegungsradius von drei Zentimetern. Aber sind wir ehrlich, Powell und Hassall sind Statisten, Staffage, Bühendekoration im Vergleich zu Peter Doherty und Carl Barât, den Sängern und Gitarristen, die dynamische Gegensätze so formvollendet verkörpern, dass man fast einen Managerstab und Boyband-Algorithmus, einen great rock’n’roll swindle quasi, hinter ihrer makellosen Kaputtheit vermutet.

Das Leben und Leiden des Pete Doherty konnte in der Boulevardpresse bestens verfolgt werden; der Anblick seines verbrauchten, geschundenen Körpers überrascht das Berliner Publikum erwartungsgemäß nicht. Was hingegen überrascht, ist eine neue Facette Dohertys, die man bisher kaum kannte: Professionalität. Mit selten gesehener Souveranität spielt er die vertrackten Libertines-Riffs. Hin und wieder vergreift er sich; das Unsaubere scheint dann aber Kalkül zu sein, ein weiterer Kunstgriff der kaputten Ästhetik. Die Zuschauer wirken fast enttäuscht, keinen kranken Mann zu sehen, sondern einen, der sich für den Moment im Griff hat. Wenn er dann doch pflichtbewusst einen Mikrofonständer umtritt oder den Leuten mit einem randgefüllten Bierbecher zuprostet, ist der Applaus groß.

Barât ist nach wie vor ein attraktiver Mann, der die Manierismen einer Rock-Ikone mit müheloser Eleganz durchspielt. Mit brennender Zigarette im Mundwinkel, ins Gesicht fallenden Haaren, enger Hose und Lederjacke stellt er das Indie-Ideal, das die Strokes um die Jahrtausendwende wiedererfanden, auch als Enddreißiger noch überzeugend dar. Das leicht aufgedunsene Gesicht lässt allerdings Schlimmes befürchten; es ist zu hoffen, dass er nicht den Pfad einer schleichenden Demontage à la Johnny Depp betreten wird. Es ist unmöglich, über die Libertines ohne Oberflächlichkeiten zu sprechen, ist doch die Inszenierung von Körpern und ein imagebildendes Modebewusstsein so zentral für die Selbstmythologie dieser Band.

Und die Musik? In knapp anderthalb Stunden spielten die Libertines zwanzig Lieder: Vieles vom mittlerweile legendären Debüt (nur “Radio America”, “Up the Bracket” und “I Get Along” nicht), die wichtigen Lieder des Zweitwerks, und vier Stücke vom neuen Album “Anthems For Doomed Youth”, die mit Ausnahme der Single “Gunga Din” eher schulterzuckend zur Kenntnis genommen wurden. Überhaupt war die Stimmung keineswegs so ekstatisch wie man das vielleicht erwartet hatte. Das Lollapalooza-Publikum war gut gelaunt und zivilisiert, vereinzelt wurde im Takt gehüpft oder rhythmisch der Zeigefinger Richtung Bühne gewippt. Nach verhaltenem Applaus – vielleicht darf die Hemmung durch den herüberschwappenden Lärm des Macklemore-Konzerts gegenüber nicht unterschätzt werden – gab es dann, ganz professionell, zwei Zugaben. Nach dem letzten Lied, “Don’t Look Back Into The Sun”, stellten sich die Libertines halb umarmend in eine Reihe und verbeugten sich, wie Schauspieler nach einem Theaterstück. (jj)

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