Lustreisen in die Finsternis

Juni 1996 Der Anfang einer langen Karriere, die den genialischen Sonderling des Songwriting über Palace und Palace Music zu Palace Songs und schließlich zu Bonnie „Prince“ Billy führte.

Bei der ersten Begegnung eilte ihm der Ruf der Merkwürdigkeit voraus: Er soll Peter Handke lesen und die Filme von Wim Wenders schätzen; das Songwriting von Neil Young sei ihm zu autobiografisch; nach dem Pinkeln betätige er nicht die Klospülung und wasche sich nicht die Hände. Da hatte Will Oldham, 22 Jahre alt, eben unter dem Namen Palace Brothers das Album „There Is No-One What Will Take Care Of You“ veröffentlicht, eine Sensation für Experten. Wenn Sex und Drogen nicht mehr helfen und man sein Leben in den Sand gesetzt hat, dann beginnt diese Musik, frohlockte ein Rezensent.

Weil Sex und Drogen gerade mal nicht zur Hand waren, machte sich der Reporter auf den Weg zum ersten Konzert des mysteriösen Mannes in Deutschland. Die Intensität war schwer zu ertragen, als Oldham auf einem Schemel seine Leidenslieder murmelte und jaulte. Eine schäbige Pelzjacke trug er; später lernte man auch noch einen schmutzigen Anorak und einen roten Pullover kennen. Nun, Oldham sieht noch immer aus wie ein verstörtes Kind – und so benahm er sich am Abend in einem thailändischen Restaurant, wo er seinen nachgereisten Mitspieler begrüßte, indem er „Ommmmm“ summte und sich eine gefaltete Serviette auf den Kopf setzte. Eine Suppenschüssel, die vom Kellner vorzeitig abserviert werden sollte, wurde von ihm brüsk aufgehalten und ausgelöffelt. Ein Hungerkünstler.

Man kann Will Oldham zu seiner Kunst befragen, doch kargere Antworten gibt es nicht. Mit der Zeit merkt man, dass er sich nicht verweigert, sondern dass er nicht darüber sprechen kann. Die üblichen Verdächtigungen des Musik-Zirkulationsagenten (Hank Williams? Carter Family? Bob Dylan? Neil Young? Nick Drake?) laufen ins Leere, denn Will Oldham hört all diese Musik gar nicht. „Orgelmusik“ nannte er willkürlich als eine Inspiration – ebensogut hätte er „Gregorianische Gesänge“ sagen können oder „Gebetsmühle“. Seine Songs haben die Amerikaner unter „Appalachian Music“ subsumiert, was zwar musikhistorisch schlau, ansonsten aber Quatsch ist Oldham saugt alles auf, er stößt aber auch alles ab. Und am liebsten stößt er vor den Kopf.

Vor vier Jahren wohnte er in einer Garage in seiner Heimatstadt Louisville, Kentucky. Dort hat er tatsächlich auch Eltern und einen Bruder, der ihn manchmal dilettierend am Bass begleitet hat. Bevor Will die Gitarre spielen konnte und nachdem er vom Schnupper-Studium der Biologie (oder dergleichen) genug hatte, ging er in einem wahnhaften Anfall nach Hollywood und agierte sogar in einem Film. Bis heute fasziniert ihn das Kino – zu einem obskuren französischen Film komponierte er einen kleinen Soundtrack, und die Frau, die er kürzlich geheiratet hat, verfasst Drehbücher. „I Am A Cinematographer“ singt er auf seinem zweiten Album, und gnadenloser als Oldham beobachtet wohl kaum jemand die Menschen. So linkisch und hilflos er sich gibt, so schneidend ist seine Geis-tesgegenwart, so bitter sein Humor. „I fell apart“, entgegnet Will Oldham wie selbstverständlich auf die Frage, wie es ihm denn so gehe. Und seine Hochzeit – womöglich ein Zeichen der Hoffnung? „Es gibt glückliche Momente und unglückliche, weißt du“, belehrt er den Befrager. Also gut, dann lassen wir das doch.

Palace Brothers, Palace und Palace Music gibt es nicht mehr. Ohnehin haben diese Titel stets nur notdürftig verdeckt, dass Oldham niemals demokratisch mit einer Band arbeiten würde. Die konzertante Aufführung der immergleichen Songs ist ihm ein Greuel, weshalb die Musiker ebenso gewechselt werden wie die Formen. Da lärmt es im Konzert plötzlich elektrifiziert wie beim Hardcore – allein, Oldham kann nicht richtig spielen. Singen sowieso nicht. Er winselt aus dem schwarzen Loch der Existenz, und seine tröstliche Nachricht lautet:, ,If there is no one, no one can hurt you.“

Eine tiefe Angst peinigt diesen Flüchtling, der Anfang 1994 eine Reise durch Russland machte und kein Zuhause mehr hatte. Sein letztes Hab und Gut hatte er irgendwo eingelagert; auf seiner ausgebreiteten Decke auf dem Boden lag neben allerlei gesammeltem Krimskrams Nabokovs „Despair“. Seine Bekanntschaft mit einer wuchtigen russischen Opernsängerin ist auf einem Foto dokumentiert, das auf der Cover-Rückseite seines schönsten Werks, „Hope“, zu sehen ist. Die anmutige Brumme hat ihn beeindruckt – ebenso wie eine exilpolnische Promoterin, die sich des vermeintlich verlorenen Landstreichers angenommen hatte und in deren Hütte er Aufnahme fand. Doch das Verhältnis blieb platonisch.

Was macht er denn nun? Vor ein paar Wochen war er erstmals allein unterwegs und spielte in Iowa. Erst im Sommer will er wieder Songs schreiben – derweil ist auf seinem Haus-Label Drag City bereits die erste Single unter seinem Namen erschienen. Für Interviews steht er aber nicht mehr zur Verfügung: „Wie in einer Falle“ habe er sich gefühlt, als er in einem Kölner Lokal anlässlich von „Viva Last Blues“ den Fragen ausgesetzt wurde. Und tatsächlich verfällt Oldham in bleiernes Schweigen oder entsetzliches Gestotter, sobald er etwa nach den Unterschieden zwischen seiner und der Arbeit Bill Callahans gefragt wird: Vieles gefalle ihm an Smog-Liedern nicht, doch „wir sind Freunde“. Muss eine Bombenstimmung sein, wenn die beiden zusammensitzen. Schließlich gelingt Oldham unvermutet doch die letztgültige Formulierung: „Bill schreibt Songs, weil er allein sein will; ich schreibe Songs, um nicht allein zu sein.“

Sein Schaffen: ein einziger Versuch, mit der Welt in Kommunikation zu treten – doch die Anstrengung scheitert oft in gestammelten Sätzen. Dass alle Menschen nur geliebt werden wollen, ist Will Oldham schmerzlicher bewusst als anderen Menschen. Die Gewissheit, dass Gott abwesend ist, kann ihn nicht mehr schrecken. In dem unvergesslichen Song „Riding“ dankt er höhnisch dem gütigen Schöpfer: „And all my life I owe to Him.“

Die Story zur Story

Als 1993 das Album „There Is No-One What Will Take Care Of You“, ein Reigen todrauriger Freistil-Country-Lieder, in Deutschland veröffentlicht wurde, traf Arne Willander den Sänger der Palace Brothers in einem Hamburger Thai-Restaurant. Später begegnete er Oldham noch mehrfach – einmal äußerte sich der Kauz begeistert über Leben und Schaffen eines damals wenig geltenden Künstlers: Michael Jackson sei eine „großartige Märchenfigur“.

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