Meilen zu reiten

JIM JARMUSCH filmt Neil Young & Crazy Horse

Man sollte zunächst „Dead Man“ sehen, Jim Jarmuschs surrealistischen Western mit Johnny Depp als William Blake, den schönsten Film, den er gedreht hat. Depp spielt einen untadeligen Buchhalter, der gen Westen fahrt, natürlich in die Bredouille gerät, einen Mann erschießt und plötzlich ein Outlaw ist, begleitet nur von einem komischen Indianer. Weil er angeschossen wurde, schleppt er sich als toter Mann durch

den Film. Schließlich steigt er in sein Kanu und lässt sich treiben, hinaus aufs offene Meer.

Wer „Dead Man“ gesehen hat, wird niemals die Gitarre von Neil Young vergessen, die William Blake in die ewige Nacht begleitet, oung improvisiert über die absurden Passagen dieser Reise, er nutzt die rohe Gewalt seiner elektrischen Gitarre zu einem stockenden, aufblitzenden, ganz und gar lyrischen Spiel, das die karge Poesie der Schwarzweiß-Ästhetik noch überhöht „Dead Man“ ist fast ein Stummfilm, aber Neil Ybungs Gitarre spricht und spricht – durch die Landschaft, durch die Zeiten, durch die Leinwand.

Aber was hat den Avantgarde-Filmer Jarmusch, den Großstädter und Hipster, dazu bewogen, über 20 Jahre Neil bung und Crazy Horse zu verfolgen? Ein „artsy producer from New York“, staunt Ralph Molina, der Naturbursche, und Jarmusch korrigiert aus dem Off: „Director.“ Es muss eine frühe Leidenschaft gewesen sein, denn „Stranger Than Paradise“ gab es damals noch nicht, als Jarmusch 1976 mit einer Super 8-Kamera in Glasgow die ersten Aufnahmen machte. Schon damals kamen die Menschen mit einer Jenseits-Erwartung und Verzückung zum Konzert, die ganz anders ist als das bange Hoffen und Bramarbasieren bei einem Dylan-Konzert Ja, sie waren Hippies, doch bung hatte mit „The Needle And The Damage Done“ vor allen anderen das Ende des Traums besungen. Jarmusch, nun mit Videokamera, begleitet Crazy Horse bei der Tournee 1996 durch Europa. „Year Of The Horse“ nannte bungs Produzent und Freund David Briggs das Jahr, kurz bevor er starb. Es ist eine dieser schmerzlichen Ironien in der Geschichte dieser einzigartigen Band, dass Briggs in dem Film nicht mehr vorkommt. Er hat soviel hinterlassen, sagt Neil, dass wir allein weitermachen können.

Sie sitzen jeweils einzeln auf einem Stuhl in einem großen Zimmer, im Hintergrund eine Waschmaschine, und auch die Erinnerung wurde in einer großen Waschtrommel geschleudert: Ein paar Socken fehlen, die Jeans sind nicht mehr dieselben. Die eindrucksvollste Erscheinung ist Youngs Vater, ein weißhaariger, knorriger, unbeugsamer Mann, der früher Sportreporter war und tatsächlich aussieht wie aus einem Roman von Richard Ford oder James Salter. In Neils Kindheit war er nicht viel zu Hause.

Irgendwo in Europa sitzen die Musiker im Bus, und Young versucht, einen neuen Gesangspart für das „He came dancing across the water/ Cortez, Cortez“ von „Cortez The Killer“ zu finden, aber Billy Talbot sträubt sich, er will kein neues Arrangement, er will „Cortez“ immer so weiter singen, und natürlich hat er Recht. Zwischendurch spielen Crazy Horse „Big Time“ und „Sedan Delivery“ und andere ihrer Bühnen-Stücke, oft zehn Minuten, wie man das kennt.

Zum Schluss ertönt natürlich „Like A Hurricane“, aber plötzlich steht da ein anderer Young, das Bild hat gewechselt, es ist Young 1976, und auch er spielt „Like A Hurricane“. So simpel dieser Effekt ist, so unglaublich ist der Blick in das junge Gesicht, die vollkommen entrückten Augen, die wehenden Haare. Es ist ein Flug in die Metaphysik, den nur das Kino beherrscht Das Bild wechselt wieder, es ist 1996. bung schwenkt zum finalen, apokalyptischen Inferno von „Hurricane“ eine große Kerze, legt die Gitarre nieder, taumelt in der Dunkelheit Es ist eine Beschwörung, eine Epiphanie. Wir sehen jetzt, dass dieser Mann niemals ausbrennen kann. „Die eine Sache ging weiter, die andere nicht“, sagt Young über das Ende der Rockets und den Anfang von Crazy Horse.

Am Ende sitzen Jarmusch und bung beieinander, und Jim liest aus der Bibel, das mit dem Auge, das man herausreißen soll, und Neil fragt, was das Alte im Unterschied zum Neuen Testament sei, und Jim spricht vom zürnenden Gott Und Neil denkt mal darüber nach, was er an Gottes Stelle so mit den Menschen und den Bäumen täte. Der Mann, der die Bibel mit seiner Gitarre praktisch neu geschrieben hat, kennt die Bibel nicht.

Und das ist verdammt gut so.

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