Melodien für Millionen

Wolfgang Doebeling über die Instrumentalisierung der Pop-Kunst als Werbekeule für Markenartikel und ihren Abstieg zum bloßen Produkt

Die Generation Golf fährt voll auf Nick Drake ab. Nicht, dass sie das wüsste, aber immerhin. Bob Dylans Protest-Poeme, vom Radio längst ausgemustert, rotieren im Fernsehen, zur Primetime. Und tun ein gutes Werk, indem sie den Shareholder-Value von derzeit mindestens vier Geldinstituten steigern helfen. „Heartbreak Hotel“ steht Reklame für Sonnenbrillen, zu „Good Vibrations“ wird Seife feilgeboten, mit „Sunny Afternoon“ Weichspülmittel. Bill Gates leaste „Start Me Up“ und verscherbelte damit seine Software, der Energie-Konzern RWE betreibt Image-Politur mit „Imagine“, der Utopie des Hl. John. Imagine no possessions! Das war gestern, heute ist Totalausverkauf.

Im Preis stark herabgesetzt sind momentan Songmodelle der Marken „Cool“ und „Hip“. Hat sich ein wenig totgelaufen, das ewige Geklapper mit Beats und Beeps. Ungebrochen dagegen ist die Nachfrage der Ad-Agenturen nach Songs mit dem „Credible“-Label, zu Saison-Siegern avancierten Lieder der Linie „Dissidence“, für die inzwischen so viel verlangt wird, dass sich den Luxus nur noch Versicherungen und Banken leisten können. Sind halt zeitlos aktuell, diese Zeilen, wenn man sie richtig adressiert, etwa an Gegner der Globalisierung: „Your old world is rapidly fadingl Get out of the new one if you can’t lend a hand/ ‚Cause the times they are a-changin‘.“

Rock und Werbung sind inzwischen so untrennbar verflochten wie Rock und Roll. Ein symbiotisches Verhältnis, so scheint es. Melodie und Glaubwürdigkeit gegen unbegrenzt Bargeld. Bloß: An Melodien überhört man sich und das Credibility-Sharing hat für den Künstler einen Pferdefuß. Es ist ein flüchtiges Element, und wenn es einmal weg ist, dann unwiederbringlich.

Anfangs ließ sich die Sache ja ganz gut an. Es ist gerade 15 Jahre her, als aus heiterem Himmel eine Reihe von Klassikern an die Spitze der Charts galoppierte, auf dem Rücken einer neuartigen Kampagne der Jeansfirma Levi’s. Marvin Gayes „I Heard It Through The Grapevine“ und Ben E.Kings „Stand By Me“, dann „Should I Stay Or Should I Go“ von The Clash und „The Joker“ von der Steve Miller Band. Die Werbe-botschaft war unmissverständlich: 501s sind trend- unabhängig und so unkaputtbar wie diese Musik. Keine geeignete Message mehr für die modevernarrten Nineties. Neue Acts mit unbekannten Nummern wurden ins Rennen geschickt, nicht ohne Erfolg, aber so schnell in der Versenkung verschwunden, wie sie gekommen waren. Stiltskin, Babylon Zoo, Mr. Oizo. Andererseits: Ein Treffer ist besser als gar keiner. Das sagte sich jedenfalls mancher Manager und polierte eifrig die Klinken der Werbe-Etat-Verwalter. Der Soundtrack eines Spots für Gap oder Nike hatte erhebliche Hit-Chancen. Eine einfache Rechnung, die freilich ohne den Wirt gemacht wurde.

Clever, wie die Werbefritzen nun mal sind, fiel ihnen nämlich schon bald auf, dass der Partner aus dem Musikgeschäft gleich doppelt profitiert. Direkt, durch die Abgeltung des Copyrights. Und nicht selten noch mehr durch die unbezahlbare Promotion-Power eines omnipräsenten Spots. Fortan löhnten die Produktwerber nur noch symbolische Summen oder offerierten Naturalien. Autofabrikanten etwa blechten mit Blechkarossen. Egal, einige Unbeirrte bastelten mithilfe der werbetreibenden Wirtschaft sogar bewusst an ihrer Karriere. Musik aus Mobys Album „Play“ zum Beispiel ist weltweit bei fast 600 unterschiedlichen Produkt-Feldzügen im Einsatz, von Hustenbonbons bis Pflanzendünger. Oder der Fall Lenny Kravitz. Dessen Karriere lag vor zwei Jahren am Boden, seine LP „5“ lag wie Blei in den Regalen. Bis Peugeot auf den Plan trat und die Single „Fly Away“ per Werbefilmchen populär machte. Kravitz habe sich erst eine Weile geziert, berichtete die Wochenzeitung „The Observer“ dann aber doch den Strohhalm ergriffen. „How many of the flamboyant rebel rockers from the past, who Kravitz so slavishly imitates“, fragt das Blatt indigniert, „would want to admit that a car manufacterer rescued their career?“

Der Abstand zwischen Pop und Advertising, Werbeagenturen und Plattenfirmen, Musikmarkt und Anzeigenmarkt schmilzt stündlich. Die Produktion von Popmusik unterscheidet sich nicht mehr wesentlich von Fließbandarbeit, währerd Industrieprodukte mit immer höherem künstlerischem Aufwand vermarktet werden.

Ist nur eine Frage der Zeit: Bald ist alles eins. Das scheinen auch die Fun Lovin‘ Criminals so zu sehen. Sie verdingten sich an die Bierbrauerei Miller, ließen die einen aufwendigen Spot drehen, in dem sie selbst als Miller-Trinker auftreten, und sparten sich so einen Video-Clip für ihre Single „Loco“. Synergie sei das, sagen sie, denn „some bands and some products are cooler than others“. Darauf MELODIEN FÜR MILLIONEN

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