Merz-Eklat: Schmerzhafter Denkzettel, aber kein politischer Beinbruch
Erst im zweiten Wahlgang wird Friedrich Merz zum Kanzler. Seine Regierung startet nach dieser historischen Schmach mit einer großen Hypothek.

Wie versteinert schaute die Mehrzahl der Bundestagsabgeordneten, als Bundestagspräsidentin Julia Klöckner das Ergebnis der geheim abgehaltenen Kanzler-Wahl bekannt gab. 310 Stimmen – das reichte nicht.
Friedrich Merz, der seit Jahren auf diesen Moment hingearbeitet hatte und dabei einige teils sogar herbe politische Niederlagen in Kauf nehmen musste, wurde blamiert. Noch kein Bundeskanzler in der Geschichte der Bundesrepublik scheiterte im ersten Wahlgang. Absehbar war es nach der schwierigen Vorbereitung der letzten Wochen, allein der Glaube daran fehlte einem, dass der Mut zum Chaos größer ist als der Wunsch zur Einigkeit.
Bevor es am späten Dienstagnachmittag dann doch noch mit 325 Stimmen gelang (nötig waren 316), gab es hektische Gespräche zwischen den Parlamentariern und Fraktionschefs. Unklar ist, wer Merz die Zustimmung verweigert hat.
Merz und seine Koalition müssen Vertrauen zurückgewinnen
Es spielt aber für den verheerenden Eindruck, den diese holprige Kanzler-Ernennung nun macht, keine Rolle. Der Start der Regierung ist vermasselt, das Vertrauen in den politischen Zusammenhalt der Koalition bereits mit dem ersten Tag schwer beschädigt. Wenn schon die künftig Regierenden Zweifel haben, was soll da der Wähler denken?
Anscheinend haben sowohl CDU-Chef Friedrich Merz als auch SPD-Vorsitzender und künftiger Vize-Kanzler Lars Klingbeil ihren Gefolgsleuten im Vorlauf der Koalitionsverhandlungen zu viel zugemutet. War der Steuerschuld-Hammer für die Union zu viel? Misstrauen die Genossen Merz, dass er wirklich sozialdemokratische Politik stützt?
Man muss den in letzter Zeit entsetzlich lauten Alarmisten nicht zustimmen. Es ist kein verheerendes Signal für die Demokratie, wenn ein Kanzler erst im zweiten Wahlgang gekürt wird. Es ist aber sehr wohl ein Zeichen dafür, dass einige Bundestagsabgeordnete offenbar mehr Interesse daran haben, einem Kanzler einen Denkzettel zu verpassen, als eine politische Kultur zu stützen, die letztlich nur eines zum Ziel hat: Einigkeit zu beschwören und Handlungsfähigkeit herzustellen.
Politik, die nur auf sich schaut, ist zum Scheitern verurteilt
Die kleine große Koalition startet nun mit geschwächtem Kanzler und einer gehörigen Hypothek in die erste Phase ihrer Regierungszeit, die mit Rezession, Ukraine-Krieg, Gaza-Konflikt, Strukturwandel, Migrationsdruck und einer aufgeheizten gesellschaftspolitischen Lage gewiss genügend Herausforderungen bereithält.
Mut machen sollte, dass verspieltes Vertrauen zurückgewonnen werden kann, dafür braucht es nicht einmal ein Verbotsverfahren gegen die AfD. Es reicht aus, sich den Gegebenheiten zu stellen, an den erkannten Problemen zu arbeiten und der Bevölkerung auf diesem Weg erstens die zum Teil nötigen (schmerzhaften) Einschnitte zu erklären und sie zweitens dafür zu gewinnen, dass sich diese Anstrengung am Ende lohnen wird.