Mickalene Thomas – Funky Miss Gauguin

Crazy, sexy, soul - Bunt ist das neue Schwarz: Wie die afroamerikanische Feministin Mickalene Thomas die Kunstszene grooven lässt. Ein Besuch in Brooklyn

Auf dem Patchwork-Sofa vor der holzgetäfelten Wand haben sie alle gesessen. Sich in die Häkelkissen zurückgelehnt. Bein gezeigt. Den Ausschnitt ihrer Kleider noch ein wenig weiter geöffnet und selbstbewusst in die Kamera geblickt – Mickalene Thomas‘ schwarze Schönheiten sind verführerische Herrscherinnen. Egal ob ihre eigene Mutter oder Top-Model Naomi Campbell: Wer von Mickalene Thomas erwählt wird, nimmt in der Wohnzimmer-Ecke mit dem 70er-Jahre-Dekor Platz, um für die Künstlerin aus Brooklyn Modell zu sitzen.

Mickalene Thomas‘ Atelier mit der Retro-Ecke und dem alles andere als malerischen Blick auf die Stadtautobahn liegt weit entfernt von der New Yorker Galerien-Welt im tiefsten Brooklyn, in Clinton Hill, einem von einer Rekorddichte an Reihenhäusern und Backsteinfassaden geprägten Viertel, das auf der Gentrifizierungsliste noch ein paar Plätze hinter dem benachbarten und ungleich hipperen Williamsburg steht. Mickalene Thomas lebt nicht weit von ihrem Studio entfernt mit ihrer schwangeren Lebensgefährtin, der Künstlerin Carmen McLeod, im selben Viertel.

Als der ROLLING STONE zu Besuch kommt, sind die 40-jährige Künstlerin, zwei Atelier-Manager und drei Assistenten damit beschäftigt, die Werke für die kommenden Shows fertigzustellen. Der Arbeitsplan pinnt an der Wand. Ein Assistent malt die vorgezeichneten Farbfelder einer auf den Kopf gestellten Nackten aus. In einem Regal stapeln sich Boxen mit Kristallsteinen. Daneben stehen sorgfältig beschriftete Farbtöpfe mit Namen wie „Naomi Orange“ oder „Sofa Brown“. Die Farben werden für jedes Gemälde neu angemischt und auf handgefertigte Birkenholzplatten mit abgerundeten Ecken gesetzt.

Es ist gut fünf Jahre her, dass Mickalene Thomas mit ihrer ersten Solo-Ausstellung in Chicago bekannt wurde. Schon bald galt die Malerin aus Brooklyn als der Star der Kunstmessen. Inzwischen verkaufen sich ihre plakativen, oft collagierten und mit Glitzersteinen und Swarovski-Kristallen bestückten Porträts zu Preisen von bis zu 250.000 Dollar für sehr großformatige Arbeiten. Das einflussreiche Hotelier-Ehepaar Mera und Don Rubell aus Miami und die italienische Prinzessin Giulia Borghese zählten früh zu ihren Sammlern. In diesem Sommer nun hat Mickalene Thomas mit dem Santa Monica Museum Of Modern Art und dem Brooklyn Museum gleich zwei große Einzelausstellungen in den USA und eine Show in ihrer New Yorker Galerie Lehmann Maupin. Mickalene Thomas ist auf dem Sprung zum ganz großen Erfolg.

Was ihre Arbeiten so begehrlich macht, ist der Mix aus 70er-Jahre-Ästhetik und Pop-Art, aus Feminismus und Funkyness, aus Black Power und einer Erotik, die Film-ikonen jener Epoche wie die „Foxy Brown“-Heldin Pam Grier ausstrahlen. Retro-Chic mit politischem Bewusstsein. Sie definierte Malerei neu und lädt ihre feministische Frauenpower-Botschaft mit Sexyness auf.

Die Glitzersteinchen, die von Thomas und ihrer Crew mit Essstäbchen auf den Gemälden platziert werden, haben ihr außerdem den Ruf der HipHop-Künstlerin eingebracht und Vergleiche mit dem ebenfalls in Brooklyn arbeitenden schwarzen Künstler Kehinde Wiley. Doch das ist bloß halb richtig, nicht nur, weil Thomas lieber Soul als Rap hört.

Ihre Collagen setzt sie anhand von unterschiedlichen Fotos wie Puzzlesteine auf den Holzplatten zusammen, um sie anschließend aufzumalen. Die unterschiedlichen Elemente verleihen den Arbeiten Rhythmus. Viele Titel ihrer Bilder wie „I Learned it the Hard Way“ entspringen Texten alter Songs von Soul- und Funk-Königinnen wie Millie Jackson, Betty Davis, Etta James oder Donna Summer. „Ich bin mit Musik aufgewachsen. Als ich jung war, hatten wir ein Radio, aber keinen Fernsehapparat“, erzählt Thomas. Sie steht auf den Neo-Soul der Sängerin Sharon Jones, mit der sie ein ziemlich lässiges Interview für „Vice“ gemacht hat, das man sich im Internet anschauen kann. Überhaupt handelt es sich bei den Heldinnen auf ihren Bildern bis auf wenige Ausnahmen nicht um professionelle Models, sondern meist um Alltagsbekanntschaften. Ihre Porträts von prominenten Frauen wie Präsidenten-Gattin Michelle Obama oder Talkshow-Star Oprah Winfrey fertigt sie anhand von Archiv-Fotos an.

„All diese Frauen in meinen Bildern stehen für mich selbst“, sagt Thomas, während sie im Schneidersitz auf dem Fußboden hockt und malt. So selbstbewusst sie auftritt, so überraschend schüchtern wirkt sie zugleich.

Mickalene Thomas wurde 1971 in New Jersey geboren. Es war die Zeit der Nachwehen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung und das Jahr, als der Blaxploitation-Filmklassiker „Shaft“ als Ausdruck eines neuen schwarzen Selbstbewusstseins in die Kinos kam. Thomas erinnert sich an wandgetäfelte Räume im Haus ihrer Verwandten, an die gelben und braunen Farben, an das Orange, das sich in den Mustern der Gardinen, Sofabezüge und Tapeten wiederfand. Farben und Muster, die als Stilelemente ihre Foto-Sets und ihre Collagen prägen. Doch Thomas fühlt sich nicht nur aus ästhetischen Gründen zu den 70er-Jahren hingezogen. Es ist für sie auch die entscheidende Ära, in der sich Afroamerikaner eine historische und kulturelle Identität schufen. „Es ist der Moment, in dem sich die Schwarzen selbst definierten und ihren Platz in der Welt festlegten“, sagt Mickalene Thomas.

Ihre Kindheit wurde von starken Frauenfiguren wie die der eigenen Mutter geprägt, die Thomas und ihren älteren Bruder ohne den Vater aufzog. Mit 13 verdiente sich Thomas als Kinderbetreuerin ihr erstes eigenes Geld. Anfang der 90er-Jahre zog sie nach Portland in Oregon, wo sie in einer Anwaltskanzlei arbeitete und Jura studierte. Doch schon damals umgab sie sich lieber mit Musikern und Künstlern und hatte das Gefühl, etwas anderes mit ihren Talenten anstellen zu müssen. Ein Besuch im Portland Art Museum sollte ihr Leben schließlich umkrempeln. Dort sah sie Fotoarbeiten der afroamerikanischen Künstlerin Carrie Mae Weems. Vor allem „Mirror Mirror“, bei der eine böse weiße Fee das Spiegelbild einer schwarzen Frau darstellt. Dass Kunst so persönlich und so politisch sein kann, traf Mickalene Thomas ins Mark. Sie fing an, mit Aquarellfarben zu malen. Und wurde mit ihren ersten Versuchen zum Kunststudium am Brooklyner Pratt Institute und später an der Yale University angenommen, wo sie auch Kehinde Wiley kennenlernte. Er schenkte ihr nicht nur einen Dackel namens Priscilla – „er half mir vor allem, meine erste Ausstellung in Chicago zu bekommen“, erzählt Thomas über ihren Künstlerfreund.

Zwischen Kunststar Wiley mit seinen den Barock zitierenden Schwulst-Gemälden, auf denen HipHop-Ritter und schwarze Feldherren posieren, und Mickalene Thomas‘ funky Schwestern-Collagen besteht trotz des unterschiedlichen Sounds eine enge Verwandtschaft. Beide Künstler sorgen auf ihre Weise dafür, dass Afroamerikaner heute ihren Platz in der Kunstgeschichte erobern. Über Jahrhunderte waren sie von der klassischen Porträtmalerei ausgeschlossen und durften lediglich als Diener im Hintergrund herumstehen. Als Künstler wurden sie – bis auf berühmte Ausnahmen wie Jean-Michel Basquiat – übersehen.

Wie Wiley lässt sich auch Thomas von alten Meistern wie Manet, Balthus, Gauguin oder Picasso inspirieren und leitet ihre Modelle an, wie auf den historischen Werken in Pose zu gehen. So arrangierte sie Edouard Manets Klassiker „Le déjeuner sur l’herbe“ auf lässig-respektlose Weise neu, indem sie statt der beiden jungen Männer mit ihrer nackten Begleiterin drei schwarze Frauen in gleicher Pose im Skulpturengarten des Museums of Modern Art platzierte. Selbst die Glitzersteine haben einen kunsthistorischen Hintergrund: Thomas setzt sie wie die Pointillisten Punkt für Punkt auf die Leinwand. „Ich decke mich bei den unterschiedlichsten Genres ein und versuche, meine eigene Sprache zu finden“, erklärt sie.

Vor allem aber glaubt sie, dass Kunst ein politisches Statement sein kann: „Ich setze schwarze Frauen ein, um ein Herrschaftsgebiet zu erobern, um politischen Raum und meine eigene Sexualität zurückzufordern.“ In ihren Arbeiten spielt sie als Frau mit dem sonst männlichen Blick auf das weibliche Objekt der Begierde – und mit der Kunst der Verführung. Als ultimativen Schritt nahm sie sich nun Gustave Courbets berühmtes Werk „Ursprung der Welt“ mit den gespreizten Beinen einer nackten Frau vor. Thomas ließ ihre eigene Vulva von ihrer Freundin fotografieren und garnierte das Bild mit schwarzen Glitzersteinen. Seitdem bekommt ihre New Yorker Galerie Anfragen von Frauen, die sich gern in gleicher Pose malen lassen wollen.

Klaus Biesenbach, Chefkurator am Museum of Modern Art, charakterisiert Thomas‘ Arbeiten als furchtlos. Susanne Vielmetter, ihre Galeristin in Los Angeles, findet sie provokant: „Mickalene Thomas macht sich die Geschichte der westeuropäischen Kunst der letzten Jahrhunderte zu eigen und belichtet sie aus ihrem eigenen Blickwinkel – und der provoziert sogar das heutige progressive Kunstauge.“

Für Mickalene Thomas schließt sich mit ihrer großen Ausstellung „Origin Of The Universe“ ein Kreis. Wie zu Beginn ihrer Karriere fängt heute jedes ihrer Bilder mit einem zentralen Foto an, um das sich die Elemente gruppieren. Zuerst arbeitete Thomas, die als junge Frau selbst für kurze Zeit als Model jobbte, mit Selbstporträts. Dann setzte sie ihre Mutter ein, die ebenfalls als professionelles Fotomodel tätig war. Später kamen andere Frauen hinzu. Die gemeinsame Arbeit von Mutter und Tochter hatte vor allem therapeutische Wirkung: Sie half beiden, nach Jahren ohne Kontakt zueinanderzufinden.

Auch die Sammler ihrer Porträts sind in erster Linie Frauen. „Das ergibt Sinn“, sagt Mickalene Thomas. „Sie sehen sich selbst und eine gewisse innere Stärke in den Bildern. Oder sie haben zumindest die Sehnsucht, sich in diesen Frauen erkennen zu wollen.“

„Das bin ich“

Soulsängerin Sharon Jones über Stolz und schwarzes Selbstbewusstsein

Sharon Jones steht im Goldlamé-Kleid auf der Bühne, singt, shoutet, schwitzt. Ganz vorne, in einer der ersten Reihen kann man Mickalene Thomas entdecken, tanzend, klatschend, begeistert. Natürlich ist die Künstlerin von der Sängerin fasziniert. Sharon Jones verkörpert Motown, Stax und den Funk der späten Sechziger, ist ein bisschen Aretha Franklin und James Brown in einer Person – und mithin eine intensive, authentische Frau. Seit einigen Jahren wird die in Augusta, Georgia geborene Sängerin gefeiert, spielt überall auf der Welt auf großen Festivals. Jones ist Mitte 50 und hat den alten Soul noch selbst erlebt – wohl deshalb sind ihre Konzerte wie eine Zeitreise. Wobei die Sängerin ihren späten Ruhm auch ihrer Band verdankt: Die Dap-Kings begleiteten Amy Winehouse und spielen Motown, als wären sie die Funk Brothers.

Zwei von Jones‘ Liedern inspirierten Mickalene Thomas zu Bildern. Eines von beiden, „I Learned The Hard Way“, zeigt eine schwarze Frau auf einer Chaiselongue, stolz posierend, ein bisschen unnahbar. Viel erlebt, aber nicht klein beigegeben: Das ist ein Standard-Song schwarzer Weiblichkeit, den Thomas oft visualisiert. „Das bin ich in dem Lied“, sagt Sharon Jones, „mir ist nichts geschenkt worden. Nicht in meinem Leben, nicht in meiner Musik.“

Wie Thomas wuchs Jones ohne Vater auf und musste früh hart arbeiten. Fünf Geschwister, von Georgia in den Sozialbau nach Brooklyn, Keller der Gesellschaft – Sharon Jones hat schon als Kind zu kämpfen gelernt, erst für die Familie, dann für sich und ihre Musik. „Natürlich geht es im Soul um weiblichen Stolz“, sagt Sharon Jones, die Spätentdeckte. „Mir haben sie gesagt, ich sei zu alt und zu fett für eine Karriere. Du musst durchhalten und immer weitermachen.“

Wenn man ihr zuhört, versteht man die Werke von Mickalene Thomas auch als Soul-Gemälde: Die schwarze Frau im Rampenlicht, die von Würde, Stärke und Identität erzählt, so wie in den Liedern der Diven von damals: R.E.S.P.E.C.T. JÖRN SCHLÜTER

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