Mika

Märchenhaft ist nur seine Popmusik, das Leben des Sängers eher nicht. Mika geht seine kunstvollen Songs gern wie ein Handwerker an.

Michael Holbrook Penniman war nie ein Durchschnittstyp. Er wurde im Libanon geboren, wuchs in Paris und London auf. Mit 12 sang er im Royal Opera House bei der Strauss-Oper „Die Frau ohne Schatten“ mit, kann aber bis heute keine Noten lesen. Nun ist er 26 und nennt sich Mika. Die ganze Welt kennt ihn unter diesem Kosenamen, denn 2007 veröffentlichte er sein Debüt „Life In Cartoon Motion“, und die barocke Popmusik mit dem furchtlosen Falsettgesang verkaufte sich – auch dank der Hitsingle „Grace Kelly“ – mehr als fünf Millionen Mal.

Binnen weniger Monate wurde Mika zum Superstar, aber als es an die Aufnahmen zu seinem zweiten Album ging, musste er erst mal seinen Plattenfirmen-Chefüberzeugen, dass man seine Studiorechnungen bezahlt, ohne weiter nachzufragen, was er da so macht. Mika wollte im Exil in Los Angeles Ruhe haben. Er versprach, nicht zu versagen. Das Ergebnis heißt „The Boy Who Knew Too Much“. Stimmt die These, dass man für ein Debüt ein Leben lang Zeit hat, für das zweite Album aber nur zwei viel zu kurze Jahre?

Auf jeden Fall. Das Zweites-Album-Syndrom hätte mich beinahe erwischt. Ich wollte dem Erfolgsdruck aber unbedingt entkommen, also lehnte ich jede Vorstellung von dem, was als cool angesehen wird, ab. Ich hielt mich an der Idee fest, dass ich diese Sache jetzt wie ein Handwerker angehen würde, nicht wie ein Künstler. Zu Hause ging das nicht. Also buchte ich ein Studio und gingjeden Tag um elf Uhr morgens hin. Sechs Tage die Woche.

Klingt nicht nach Rock’n’Roll.

Ich brauche eine gewisse Struktur. Ich jammere gern am Abend rum, dass ich morgen wieder arbeiten muss. Ich weiß gern, was ich getan habe – und was noch auf dem Plan steht.

Stehst du „The Boy Who Knew Too Much“ als Fortsetzung von „Life In Cartoon Motion“? Da ging es ja viel um deine Kindheit, jetzt um das Erwachsenwerden.

Es ist der zweite Teil der Geschichte, zwei Jahre später. Ich wollte mich nie so Madonna-mäßig von meinem Debüt distanzieren. Ich wusste, dass ich mich, auch wenn ich etwas verändern will, nicht ganz von den Kindheits-Erinnerungen verabschieden muss. Nur die dunkleren Seiten anschauen, die es auch in Kinderliedern und Märchen immer gibt. Diese Referenzen an die Jugendzeit sind sowieso nur der Rahmen für die Geschichten. Ich denke nie in normalen Zeitstrukturen. Ich existiere in meiner eigenen kleinen Blase.

Manche der Geschichten, die du erzählst, sind ziemlich traurig, während du ein eher heiterer Mensch zu sein scheinst.

Es geht in den Texten zwar viel um mich, sogar wenn mir die Geschichten nicht selbst passiert sind, aber ich glaube, man lernt mehr über einen Menschen, wenn man sich seine musikalischen Entscheidungen anschaut. Bei den musikalischen Idiomen liegt das Herz blank, bei den Texten geht man kopflastiger heran.

Es ist also kein Zufall, dass die Texte eher finster sind und die Musik dazu so aufgekratzt?

Die Texte repräsentieren die Realität – und die Musik das, was mich durch diese Realität hindurch gebracht hat. Es gibt keine Freude ohne Traurigkeit, keine Sicherheit ohne Angst. Ich habe mich diesmal wieder von Kinderliedern beeinflussen lassen, aber anders als beim Debüt. Diesmal habe ich sie angeguckt und festgestellt, dass es immer um drohende Gefahr geht. Diese Verse lehren einen, Gefahren zu erkennen und Sicherheit zu schätzen: dass man ein beheiztes Zuhause hat, dass Mami einen zudeckt. Wir haben nur Spaß am Horror, wenn er weit genug weg ist. Die Texte repräsentieren den Schrecken, die Musik den Schutz. Diese Herangehensweise von Kinderliedern und Märchen versuche ich auf meine Popmusik zu übertragen.

Fragst du dich bei diesen Geschichten über Entfremdung und Einsamkeit manchmal, wie weit du gehen willst? Wieviel eigene Erfahrungen du preisgeben willst?

Ich beschütze mein Privatleben vor der Öffentlichkeit, aber in meinen Liedern bin ich offen und fast brutal ehrlich. Es ärgert mich, wenn mich Leute fragen, wen ich vögle oder ob ich schwul bin, da sage ich: Geht dich gar nichts an! Wenn Leute dann meinen, ich soll mich nicht so anstellen, sage ich: Immerhin habe ich (mit „Billy Brown“) einen Mainstream-Pop-Song geschrieben, einen Song, den jetzt Sechsjährige mitsingen, in dem es darum geht, dass ein Mann seine Ehefrau verlässt, weil er einen anderen Mann heiraten möchte. Ist das nicht genug? Muss ich in eine Schublade springen? Ich habe mein Leben lang mit Labels gelebt, ich komme damit klar. Aber ich werde mir nicht selbst eines aufkleben.

Gefiel dir selbst deine ungewöhnliche Stimme eigentlich immer?

Ich bin vielleicht kein so guter Sänger, aber ich weiß meine Stimme bestmöglich einzusetzen. Es geht ja auch um Abgrenzung. Wenn man nichts Besonderes macht, sondern alles genauso wie alle anderen, bleibt nur Mittelmaß übrig. Man muss Risiken eingehen. Wie bei der Kleidung: Warum tragen manche Menschen jeden Tag ein schwarzes Jackett statt irgendwas Buntes? Weil sie Angst haben, einen Fehler zu begehen. Aber man lernt nur, indem man sich verbrennt. Man braucht Mut. You gotta dare to such!

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