Mit seiner archaischen „Weissenborn“-Gitarre beschwört BEN HARPER die Geister des Blues – und neuester Technik

Ketzerei und Gottesfurcht – Ben Harper vereinigt die Extreme. Er mag als unverbesserlicher Phantast erscheinen, wenn er heute noch an die Heilkraft von Musik glaubt. Doch seine menschenfreundlichen Träumereien sind alles andere als realitätsfern. „Wir leben in aggressiven Zeiten und eine selten aggressive Generation wächst heran. Kein Wunder, wenn die Jugend allein als Marketingfaktor noch interessant ist. Heranwachsenden wird eingeredet, sie seien zuallererst „Kinder des Dollars“ und ihre Mütter und Väter die ‚Hüter des Geschäfts‘. Selbstwertgefühle bleiben dabei auf der Strecke. Wenn es mir mit meiner Musik gelingt, die Dämonen zu verjagen, soll man mich ruhig einen Protestsänger nennen.“

Wer hier einen besserwisserischen Sozialpädagogen am Werk vermutet, verkennt die Strategie des 27-jährigen Afro-Amerikaners. Nichts liegt ihm ferner, als der Hip-Hop-Generation mit ihren multiplen Identitäts-Spielchen die Leviten zu lesen. Er fühlt sich vielmehr als ihr traditionsbewußter Vorsänger und nutzt offensiv ihren Groove. Das Geheimnis von Harpers musikalischer Magie liegt in der Verschmelzung alter Delta-Blues- und Folk-Stile mit der elektronischen Selbstermächtigung der Neunziger. Den Schlüssel, um seinen ganz besonderen Code zu knacken, liefert ein archaisches Instrument. Die „Weissenborn“-Gitarre, fast 40 Jahre lang vergessen, ist Harper zur Erlösung geworden.

Kein anderes akustisches Saiteninstrument besitzt heute ein derart tiefgründiges Sound-Potential wie diese Lap-Steel-Gitarre aus Koa-Holz, mit ihrem hohlen rechteckigen Hals, ihrer genial einfachen Statik-Konstruktion und einem Lack, der trotz einer Versiegelung das 100-jährige Holz noch immer frei atmen läßt Ihre fanatischen Liebhaber wie David Lindley, Bob Brozman und allen voran Ben Harper sehen heute in der „Weissenborn“ die erste origniär amerikanische Erfindung auf dem Gebiet des Gitarrenbaus – noch vor allen „Nationais“ und „Dobros“. Obwohl von dem deutschen Emigranten Herman C. Weissenborn um 1920 ursprünglich für Hawaii-Musiker gebaut, wurde das äußerst leichte Instrument – „stabil wie ein Panzer und zugleich fragil wie Glas“ (B. H.) schon bald von Blues-Musikern für ihre Slide-Phantasien genutzt.

Hier nun kommt der Ketzer in Ben Harper zum Vorschein: Ein solches akustisches Instrument par excellence, das den Gesang der Saiten vom Lachen bis zum gequälten Schrei steigern kann, wird von ihm mit der Elektronik des zeitgenössischen Rock verkuppelt Wenn Harpers „Weissenborn“ heute weint, dann sind es die Tränen der Technologie. Zunächst lotete er ihr maßloses Resonanzvermögen und süßes Sustain noch unverstärkt aus – der Eröffnungs-Song seiner ersten LP „Welcome To The Cruel World“ liefert den Beleg. Schon mit dem Nachfolger „Fight For Your Mind“ ging Harper einen Schritt weiten Zusätzliche Effektpedale eröffneten gänzlich neue Verzerrungsmöglichkeiten. Doch erst auf seinem neuen Album „The Will To Live“ konnte Harper seine brachialen Sound-Visionen konsequent verwirklichen.

Mit der flachen Hand schlägt er auf die Saiten, malträtiert sie zugleich mit dem Steel-Bar in der Linken. Wie ein waidwunder Engel beginnt das Instrument zu klagen und zu jubilieren. Bei Harpers Auftritt im Kölner E-Werk wird seine Hommage an die Vielschichtigkeit des Soundideals vonjimi Hendrix‘ „orchestraler Gitarre“ überdeutlich. Nicht nur zufällig zitiert Harper die Woodstock-Version von „Star Spangled Banner“ und demonstriert im dröhnenden „Voodoo Child“ die Grunge-Gewalt dieses Klassikers.

Die kathartische Kraft dieser Musik scheint mit den Händen greifbar zu werden. Spätestens jetzt kehrt der Ketzer, der ein quasi sakrales Objekt wie seine „Weissenborn“ dem effektversessenen MTV-Zeitalter zu opfern scheint, in den Schoß der Spiritualität zurück.

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