Mit „“Süchtig nach Lügen“ stellt sich CHRISTOPH D. BRUMME der Konkurrenz des Fernsehens, bleibt dem Zeitgeist dabei jedoch fern

Jahre, bevor er auf Farbdosen schoss, stellte William S. Burroughs fest, dass die Literatur der darstellenden Kunst um Jahrzehnte hinterherhinke. Die meisten Bücher lesen sich wie vor hundert Jahren, ganz unberührt davon, wie industrielle Perfektionierung und individuelle Entfremdung voranschreiten, wie sie die Welt und deren Darstellung verändern. Ein Trick, aktuell auszusehen, voll auf der Höhe der Zeit, sind Referenzen an den Zeitgeist, eventuell ein Stilknicks zu aktuellen Trends in Werbung, Kino, Fernsehen. Aber es ist ein Taschenspielertrick, Simulation statt Stimulation. Neue Kulissen und Kostüme sind nicht mit neuen Formen oder Inhalten zu verwechseln.

Modisch oder zeitgemäß im Sinne der Zeitgeistkatalogisierer ist nun Christoph D. Brumme sicher nicht. Stundenlang kann man sich mit ihm unterhalten – idealerweise in einem Cafe, wo es noch Kaffee statt Zimt-Latte gibt, ganz ohne Erlebniswelt und Bistroschnickschnack – über Kafkas „Der Prozess“ als Echo auf Dostojewskijs „Rodion Raskolnikofif (zu studieren anhand der Ausgaben von Stroemfeld, Frankfurt 1997, und R. Piper, München u. Leipzig 1908). Suchte Burroughs nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten in der Literatur, weil er die Welt als zunehmend mechanisiert wahrnahm, so fühlt sich Brumme, Jahrgang 1962, eher von dem überrollt, was Alvin Toffler „Die dritte Welle“ nannte, den medial angeheizten Informations-Overkill.

„So wie die Malerei mit Erfindung der Fotografie einen Abstraktionsschub erfuhr, sollte sich die Literatur der Konkurrenz des Fernsehens stellen“, findet Brumme. Seiner Diktion ist dieses Bemühen anzumerken, in „Süchtig nach Lügen“, seinem dritten Roman, liest sich das dann so: „Du musst nicht weinen, sagte sie, du bist nicht dein Onkel. / Ich weinte gar nicht. / Es regnet nicht mehr, sagte ich. Wir können unseren Urlaub fortsetzen. / Ich habe Kopfschmerzen, sagte sie.“

Was mit minimalistischer Instrumentierung begann wie ein Kniefall vor Kafka (wogegen sich Brumme wehrt, viel zu sehr schätzt er diesen Amokläufer gegen die zweite Welle, die Bürokratisierung der Gesellschaft), wird absurd, fast dekonstruktiv. Und es ist eben, in seinem zeidosen Gewand, doch hochmodern: eine Beziehungskiste, in der der Ursprung der Liebe unklar bleibt, beide Partner mehr wollen, als sie selbst geben wollen und können, in der sie zugleich vom anderen die totale Hingabe einfordern.

„Beiden fehlt ein inneres Zentrum. Sie sagen zu jedem Augenblick, er soll ewig bleiben und gleichzeitig niemals wiederkehren“, so Brumme.

Die Paradoxe, die sich daraus ergeben (Paradebeispiel: die Aufforderung, spontan zu sein) sind nicht gerade nagelneu, Paul Watzlawick hat sie schon in „Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“ analysiert – anhand von Beispielen aus dem Leben, aber auch mit Belegen aus der Literatur, etwa von Joseph Heller („Catch 22“), Ronald D. Laing („Du liebst mich nicht“) und eben Dostojewskij und Kafka.

Brumme geht aber in seinen wie Verhören arrangierten Dialogen (wie schon bei seinem Debüt „Nichts als das“) weiter, lempo, Schnitte und Wechsel sind schnell, alles ohne Fett, fast ohne Adjektive. Kurz vor Veröffendichung hat Brumme den Roman noch einmal um hundert Seiten verschlankt Das Finale kommt dann zwar nicht ganz wie befürchtet, aber doch anders als erwartet – oder erhofft? Schließlich geht es ja immer und überall auch um die Lügen, mit denen man sich durch das (Liebes-)Leben hangelt.

Von der Kindheit in dem winzigen Örtchen Elend an der deutsch-deutschen Grenze geprägt, hat Brumme als Schauspieler am Theater gearbeitet und Philosophie studiert. Ihn als Ost-Stimme zu bezeichnen, wäre verkehrt, würde falsche Erwartungen hervorrufen – und doch ist anzunehmen, dass die Ereignisse Blick und Sinne geschärft haben. JRkr spricht“, so Christoph D. Brumme lakonisch, „sollte nicht hoffen, verstanden zu werden.“

Wenn Brumme weiterhin Romane schreibt (zurzeit arbeitet er an einem über eine Seelenwanderung), dann sicher immer mit einem Lächeln über die Verzweiflung, das Dilemma des Lebens, der Menschen und ihrer Gefühlswelten. Da verwundert es kaum, dass „Süchtig nach Lügen“ ursprünglich mit einem Traum des Autors begann: „Ich wachte auf und fühlte mich wie eine Figur aus einem Roman Dostojewskijs“, lautete denn auch der erste Satz des Originalmanuskriptes.

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