Moderner Stierkampf

Coldplay

Madrid, Plaza de Toros de las Ventas

Coldplay spielen in der größten Stierkampfarena Spaniens, und die ganze Welt ist via YouTube zugeschaltet. Die ganze Welt? Leider nicht: Da YouTube und die GEMA einfach nicht zu einer Einigung kommen wollen, bleibt Deutschland von der Veranstaltung ausgeschlossen. Ein weiterer Beleg dafür, wie YouTube in diesem Land inzwischen aufgrund der prekären Situation als Musikkanal ins Hintertreffen gerät. So findet man auf der Website zum weltweit beworbenen Event nur den üblichen Hinweis: „Leider ist dieses Video nicht verfügbar, da es Musik enthalten könnte, für die die GEMA die erforderlichen Musikrechte nicht eingeräumt hat.“ Ein Ärgernis, selbst wenn das Konzert inzwischen auch hierzulande verfügbar gemacht wurde.

Schade. Denn Coldplay fahren an diesem etwas verregneten Abend zum Start der Welttournee ein gewaltiges Arsenal auf. Allein der Anblick von Las Ventas macht sprachlos: die feierlichen Fahnen, die wie ein Vollmond im Himmel hängende Uhr am höchsten Rang, die kleinen Rundbögen, die sandige Arena im Herzen des Bauwerks, die steil abfallenden Sitzbänke, die martialische, den Stierkampf bebildernde Kunst – eine Kulisse, die auf totale Überwältigung setzt und insofern ähnlich funktioniert wie ein Coldplay-Konzert.

Das klappt auch heute wieder. Selbst wenn man sich vielleicht vorgenommen hatte, Coldplay nach dem etwas seifigen neuen Album „Mylo Xyloto“ nun aber wirklich und endgültig zu hassen: Es will nicht so recht funktionieren. Ein extra von Anton Corbijn produzierter Interviewfilm führt in den Abend ein, das Intro – der „Back To The Future“-Theme-Song – sorgt für Jubelstürme, das kurze Instrumental-Titelstück baut die Spannung auf. Und dann jagen Raketen in den Nachthimmel, flirren Funken in der Luft, stürmt Chris Martin zappelig wie ein Schuljunge auf die Bühne, während Buckland, Champion und Berryman beweisen, dass ein Song wie „Hurts Like Heaven“ gar nicht so radiofreundlich klingen muss, wie man ihn kennengelernt hat. Da die Millionen Zuschauer an den Empfangsgeräten vermutlich sprunghafte Wesen sind, werden gleich die Hits „Yellow“ und „In My Place“ nachgelegt, die über die Jahre nichts an Glanz und Pathos eingebüßt haben. Um den musikalischen Bombast zu untermauern, wird mit Spezialeffekten in der ers-ten halben Stunde einigermaßen großzügig umgegangen. Bei „Hurts Like Heaven“ leuchten die Handgelenke von rund 15.000 Menschen in den Albumfarben, es gibt Konfettikanonen sowie Hunderte von Wasserbällen, die aus den oberen, nicht besetzten Reihen fallen. Fast ist man erleichtert, als die Band nach diesem Effektgewitter eine Weile auf die Wirkung der Musik vertraut: „The Scientist“, „Violet Hill“, „Politik“, „Fix You“ – diese Songs brauchen kein Bohei, sie stehen für sich selbst.

So ist die Stärke von Coldplay auch zugleich ihre Schwäche: Sie wollen immer noch mehr, mühen sich mit Gesten und dramaturgischen Kniffen ab, um ihre Show so bunt und kurzweilig wie möglich zu gestalten. Doch derartiges Tun muss beinahe zwangsläufig auf Kosten der Seele dieser Musik gehen, die fast nur noch in den zurückgenommenen Momenten durchscheint. Und auch hier ist es ein schmaler Grat, den Chris Martin im Überschwang so manches Mal überschreitet. Als er etwas vor „Fix You“ kurz „Rehab“ von Amy Winehouse anstimmt und von der Menge mitsingen lässt, ist das einfach zu viel.

Zweifel dieser Art halten sich indes nur kurz. Kaum hat man sie im Kopf, prasselt der nächste Effekthagel durch die Arena: „Viva La Vida“ und selbst das anfangs verschmähte „Every Teardrop Is A Waterfall“ spülen die Mäkeleien hinfort. Das hier ist eben auch und immer wieder: gute Unterhaltung.

Wer bereit ist, sich auf diese groß angelegte Inszenierung einzulassen, der erlebt in Madrid einen kurzweiligen Abend – den nicht zuletzt das spanische Publikum trägt: Es wird gejubelt und gelärmt, von der Bühne gelassen wird die Band erst nach der dritten Zugabe. Wenn Sie mögen, demnächst dann auch in einer deutschen Mehrzweckhalle Ihrer Wahl. daniel koch

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