München leuchtet

Aus irgendeinem Grund hatte der Regisseur Helmut Dietl mit Mitte/Ende 30 eine Phase größter filmerischer Subtilität, Klugheit und Uneitelkeit. Man mag sich kaum vorstellen, wie der spätere, der „Rossini“- und „Late Show“-Dietl die Sachen aus den späten Siebzigern und Achtzigern verbollert hätte, die bis heute seine besten sind, „Monaco Franze“, „Kir Royal“. Und davor „Der ganz normale Wahnsinn“, der ab Juni 1979 zwölf Folgen lang in den ARD-Regionalprogrammen lief und jetzt als DVD-Box zu kaufen ist.

Wahrscheinlich hätte der späte Dietl dem Hechler Götz George die „Wahnsinn-Hauptrolle angetragen. Die des Maximilian Glanz, einer wundervollen Figur, die deutsche Zuschauer damals sicher ratlos machte: Journalist am unteren Level, Traumberuf Schriftsteller, Münchner Sportwagenfahrer mit weißem Giorgio-Moroder-Anzug, gleichzeitig gereizter, vergeistigter Zivilisationsfeind. „Woran es liegt, dass der Einzelne sich nicht wohlfühlt, obwohl es uns allen so gut geht“, heißt das Buch, an dem Glanz arbeitet. Das er zum Abdruck an eine Tittenzeitschrift zu verkaufen versucht, deren Chefredakteur den Titel leicht ändern will: „Woran es liegt, dass Emanuelle nichts mehr fühlt, obwohl es letztes Mal mit Alfie noch so gut ging“.

Die Phrase vom „Muff der alten Bundesrepublik“, der hier aufgedeckt werde, liegt allzu nahe — doch so viel anders ist die neue Bundesrepublik auch nicht, und Dietls Verdienst ist es ja gerade, dass seine Gesellschaftsbilder damals so überaus differenziert waren. Das Nebeneinander von Biedermeier und Dekadenz, Schickeria, Proleten, Künstlern und Besitzbürgern. Figuren wie dergelangweilte Schönheitschirurg, der Glanz‘ Freundin als Mätresse einkaufen will. Der hysterische Immobilien‘ makler, der eine Circus-Maximus-Rede über das Problem hält, dass alle zermürbten Städter ein Häuschen auf dem Land wol‘ len. Und natürlich der Gentleman Lino, von „Monaco Franze“ Helmut Fischer als Vorstudie für die Glanzrolle gespielt: wie ein jämmerliches Schwundprodukt des Schwabinger Spätsixties-Jet-Set, ständig beim Versuch, sich zum Casanova-Leben aufzuraffen, bis er sich schließlich in eine Bierbrauertochter verliebt.

Als Maximilian Glanz ist übrigens der kaum mehr bekannte Towje Kleiner zu sehen, Groucho-Marx-Schelm und Woody Allen-Sarkast in einem — man kann sich nicht erinnern, dass jemand eine so lächerliche Figur so unlächerlich gespielt hat. Die ständig überall klingelnden Telefone und surrenden Staubsauger machen ihn rasend, und vor der festen Beziehung zu seiner Gloria hat er so viel Angst, dass man ihn nur einmal empfindsam erlebt, beim stummen Gang durch die Stadt, untermalt von Bob Dylans „Dirge“. Noch vor der Erstausstrahlung der Serie hatte Dietl eine Kinoversion angefertigt, die passend „Der Durchdreher“ hieß und mit ihrer Tagline alles sagte: „Gehen Sie mir ruhig auf die Nerven, aber stellen Sie sich bitte hinten an.“

„Der ganz normale Wahnsinn“ macht nostalgisch: In welchem Format wäre so ein zugleich gigantischer wie Arthouse-naher Episodenfilm heute denkbar? Selbst Glanz klinkt sich kurz vor Schluss aus dem Medienbetrieb aus, wird Müllmann, tanzt in der unglaublichsten Szene mit den neuen griechischen Kollegen den Sirtaki. Da leuchtet das Spätsiebziger-München am hellsten.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates