Weg mit den Mandolinen! Mumford & Sons stöpseln ein

Weg mit den Banjos! Auf ihrem dritten Album feiern MUMFORD & SONS die Elektrifizierung ihres Sounds – und suchen neue Ehrlichkeit im Mainstream

Sollte Liam Gallaghers Feststellung, dass alle Fans von Coldplay und Radiohead hässlich seien, stimmen, müssten Anhänger von Mumford & Sons aussehen wie die abscheulichsten Grottenolme und Schreckgestalten. Tun sie aber nicht. Im Gegenteil, es sind mehrheitlich attraktive Menschen, schöne Frauen und stylishe Männer. Zumindest wenn man als Grundlage dieser Betrachtung das Publikum im Berliner Magnet Club nimmt, wo das britische Quartett Mitte März zwei Geheimkonzerte spielte. Geheim deshalb, weil ihr neues Album, „Wilder Mind“, erst anderthalb Monate später erscheint. Gehört man zum privilegierten Kreis derjenigen, die das Werk vorab hören dürfen, um mit der Band ein Interview zu führen, stellt sich die Frage, was in Gottes Namen ein Label dazu treibt, diese Musik, die – zugegeben – clever aus Mainstream-Zutaten zusammengeklaut wurde, einer Geheimhaltungsstufe zu unterziehen, als gälte es, die Wirtschaftsinteressen von Großindustriellen zu schützen.

Reinkarnation als Rockband

Kein Zweifel: Die Leaks von Madonna und Björk stecken der Branche tief in den Knochen. Deshalb heißt’s jetzt erst mal: Alle Mobiltelefone und MP3-Player abgeben! Im Club selbst herrscht bereits beste Pub-Atmosphäre. Die paar Hundert Besucher können die Reinkarnation von Mumford & Sons als Rockband kaum erwarten. Denn – das verspricht schon die Vorab-Single, „Believe“ – es wird elektrisch. Also weg mit den Mandolinen, her mit den Verstärkern! Der erste Song wummert denn auch so energetisch los wie ein Stück von Delta Spirit. Ergänzt um einen Schlagzeuger und einen Geiger entfaltet sich der muskulöse Breitwand-Sound von „Wilder Mind“ mühelos. Erster Eindruck: Das Quartett setzt weniger als bisher auf emotionale Effekthascherei durch große Whoa-Whoa-Refrain-Chöre. Negativ fällt dagegen das beliebige Bühnenbild auf. So mussten Ted Dwanes Kontrabass und Marcus Mumfords Kickdrum weichen. Dafür können sich die neuen Lederjacken und die langen Haare mit den Killers und Kings Of Leon messen lassen. Denen sind die Mumfords in den vergangenen Jahren oft in Backstage-Bereichen amerikanischer Festivals wie dem Lollapalooza über den Weg gelaufen.

KANSAS CITY, KS - SEPTEMBER 20:  Lead singer Marcus Mumford and banjo player Winston Marshall performing with Mumford & Sons at the Cricket Wireless Amphitheater on September 20, 2013 in Kansas City, Kansas.  (Photo by Fernando Leon/Getty Images)

Mit den Arena-Anforderungen sind die Londoner inzwischen vertraut. Der Erfolg von „Sigh No More“ (2009) und „Babel“ (2012) machte sie entgegen allen Entertainment-Regeln zu Stars. Sogar in den USA reüssierten sie mit ihren emphatischen Folk-Hymnen, verkauften Millionen von Tonträgern und bespielten bald die ganz großen Hallen und Amphitheater wie etwa das legendäre Red Rocks in der Nähe von Denver, wo sie 2012 die Dokumentation „The Road To Red Rocks“ filmen ließen. Schaut man die Konzert-DVD heute, begreift man, dass der Zenit damals erreicht war. Mehr Bläserfanfaren, mehr energisches Taktgestampfe, mehr Satzgesänge, mehr in halsbrecherischem Tempo gezupfte Banjos waren schlicht nicht möglich. Immerhin hatten sie den Mythos, dass europäische Künstler in den USA kaum eine Chance bekommen, durch harte Arbeit widerlegt. „Es ist ein riesiges Land. Man muss ständig reisen, um eine nachhaltige Wirkung zu hinterlassen“, erklärt Dwane. Ach ja, und es brauche eben noch dieses Quäntchen Glück, ergänzt Keyboarder Ben Lovett.

https://www.youtube.com/watch?v=fZ8-2bGMAUs

Wenn man die beiden so reden hört, wie sie sich gegenseitig die Bälle zuspielen, ganz die Medienprofis, die junge Musiker im Zeitalter permanenter Selbstdarstellung sein müssen, fragt man sich, was sich hinter dieser Fassade, die alles so verdammt easy wirken lässt, verbirgt. Auf ihre Auszeit im Jahr 2013 angesprochen, rutschen sie nervös auf ihren Sofas herum, und Lovett erklärt: „Wir haben den Begriff ‚Auszeit‘ niemals verwendet. Da denkt man immer gleich an Streit, aber das war bei uns nicht der Fall.“ Fest steht jedoch, dass ein Innehalten nötig war, um den Neustart unter umgekehrten Vorzeichen zu wagen. Lovett weiter: „Wir brauchten einfach mal eine Minute Pause. Es ist wichtig im Leben, auch mal nicht zu wissen, was im nächsten Moment passieren wird.“ Zur körperlichen Erschöpfung kam die Übersättigung mit den eigenen Songs. Oft wird jetzt berichtet, dass die Band damals bei Soundchecks Stücke von Radiohead probte. „Wir fühlten, dass wir nicht mehr mit derselben Instrumentierung weitermachen konnten“, sagt Marcus Mumford. „Unser Musikgeschmack ist viel breiter.“

fl/bs
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