Mutter Witz und ihre Kinder

Was gibt es in Deutschland (noch) zu lachen? Anfang des Jahres fanden in Marburg die "Komik-Tage" statt: Lesungen, Ausstellungen und Konzerte (u.a. von Harry Rowohlt, Wiglaf Droste, Funny van Dannen, Rattelschneck) demonstrierten die erfreuliche Breite des Satire-Status-Quo der Republik. Just erschien bei Edition Tiamat das Buch zur Tagung. Lachen also kein Problem im Land der Irrlichter und Henker. Inwiefern aber unterscheidet sich das Lachen/West vom Prusten/Ost? Kennt Witzigkeit doch eine Grenze? Entspringt in der Mitte ein Fluß? Ein "Komik-Graben"? Diese vage Fragestellung war Gegenstand einer grotesken Podiums-Diskussion zwischen Mitarbeitern der Satire-Zeitschriften "Titanic" (W) und "Eulenspiegel" (0). Schweigen am Flußufer. 0/W: Oh weh. Zwei der Grabenkämpfer buddeln hier nun weiter. Zwar nicht O.W. Fischer, jedoch Eugen Egner (W) illustrierte.

Meine schönste Erinnerung an die Marburger Komiktage gilt der letzten Komik-Nacht, als Harry Rowohlt in einer gut aufgeräumten Diplompädagoginnen-Teeküche das Liedgut der Rotfront vortrug. Die folgenreichste Erinnerung ist die an eine Podiumsdiskussion über Satire in Ost und West Es sollten Gräben zugeschüttet werden. An der Diskussion beteiligte ich mich, nicht aber am Gräbenzuschütten, und deshalb schrieb ein Zuschüttungsbeftirworter zwei Tage später in der „Oberhessischen Presse“, ich sei „ein Mann von schneidiger Arroganz“ und hätte mich „in bestem Wilhelminismus“ geübt „Im Kampf gegen die Konkurrenz war jedes Mittel recht: Pardon wird nicht gegeben, Gefangene werden nicht gemacht“ Du brauchst nur zu sagen, daß die Rubrik „Super-Funzel“ im „Eulenspiegel“ nicht so lustig ist, und schon bist Du Wilheminist Und machst keine Gefangenen mehr. Ich habe es eingesehen. Die „Oberhessische Presse“ hat recht Schon rassele ich ungeduldig mit dem Säbel, giere nach einem Platz an der Sonne und bin wieder wer! In Deutschlands bestem Hutladen, dem Max Hackx Lyacx in Frankfurt am Main, habe ich eine Pickelhaube in Auftrag gegeben. Einkaufen tue ich jetzt immer bei Kaiser’s Kaffee, lesen mag ich nur noch die Werke von Wilhelm Raabe, Wilhelm Reich und Wilhelm Shakespeare, und den Boxenaufstand schlage ich mit Marschmusik von Roland Kaiser nieder. Pardon wird nicht gegeben. Hurra! Gerhard Henschel (West)

Die Nation sei „im Unernst nicht vereint“, es grassiere ein „geteiltes Gelächter“, schreiben die Zeitungen: „Ostdeutsche lachen anders als Westdeutsche“. Böse Sache; Wolfgang Thierse kann deshalb vielleicht nicht schlafen. Nicht auszudenken, wenn die Ostdeutschen das am Ende vorsätzlich tun, einfach anders lachen, so aus poststalinistischem Trotz, oder weil sie ein undankbares Pack sind. Da es sich offenbar um eine schwärende Wunde handelt, muß sie beharrlich besprochen werden.

Der Rundfunk stellt uns zu diesem Zweck vier Mikrofone für eine „Podiumsdiskussion“ in der Marburger Alten Aula auf, rechts zwei für „Komik West (Titanic)“, links zwei für „Komik Ost (Eulenspiegel)“, und denkt sich einen „Komik-Graben“ dazwischen, in den er dann eiskalt eine – kurz vor der Angst rekrutierte, total unvorbereitete – Ersatzmoderatorin nebst fünftem Mikrophon hineinstößt. Deren unbefangene Bitte an beide Parteien, sich gegenseitig mit „Ossi“- bzw. „Wessi“-Witzen zu beleiern, leitet ein einhelliges, meinetwegen auch geteiltes Schulterzucken ein, das des guten Stils wegen bis zum alle erlösenden Ende anhalten wird. Der Versuch, aus den Unterschieden zwischen beiden Zeitschriften (höchstens 200 000 Käufer) ein Nationaltheater (80 Millionen) zu stilisieren, endet entsprechend.

Sie wollen das gesammelte, geschnittene und geteilte Schweigen wohl an einem Sonntagnachmittag senden. In Sarajevo kann man das übrigens nicht empfangen. Good News für den Balkan. Andre Mielke(Ost)

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