My Own Private Radioshow

Sind kostenpflichtige Streaming-Portale die Zukunft der Musikindustrie oder nur eine neue Form des Hörfunks? Anbieter wie zaOza werben mit Niedrigpreisen und bizarrer Vielfalt.

Es gab einmal eine Zeit, da galt es als Innovation, Musik aus dem Internet herunterzuladen. Einfach den gewünschten Song anklicken und dem Download-Balken folgen, bis die 100 Prozent voll waren. „Heute hat niemand mehr Lust, so lange zu warten“, weiß Stefan Schulz, Geschäftsführer von Mobile Entertainment Germany, zu dem auch das Portal zaOza gehört. zaOza bietet mehrere tausend Titel nicht nur zum Download, sondern auch als Stream an.

Auf der Website von zaOza blinken bunte Cover. Von The Coral bis zu Enrique Iglesias scheint die Auswahl so breit wie beliebig. Ein Werbebanner preist: „Für 5 Euro im Monat Musik, Videos und Games, soviel du willst!“ Dummenfang oder geniale Werbestrategie? „Der Kunde weiß oft gar nicht genau, was er will“, erklärt Schulz. Deshalb gibt es ein Überangebot, für jeden Geschmack soll etwas dabei sein. Wer sich für eine monatliche Flatrate entscheidet, kann auf den ganzen Katalog zugreifen, eigene Playlists zusammenstellen oder komplette Alben streamen. Anbieter wie zaOza verhandeln dafür Verträge mit Major-Labels wie Universal oder Sony BMG, aber auch kleinere Plattenfirmen scheuen den Fortschritt nicht. „Wir sind gerade in Verhandlungen mit verschiedenen Streaming-Diensten“, berichtet Christof Ellinghaus vom Indie-Label City Slang, bei dem unter anderem Arcade Fire und Calexico unter Vertrag stehen.

Das Besondere am Streaming ist, dass die Musik an einem zentralen Speicherort bleibt. Die Songs werden also nicht als Datei auf ein Abspielgerät kopiert. Vielmehr kann die Musik von allen Abonnenten per internetfähigem Computer, iPhone oder Handy empfangen werden. Wo man früher physische Tonträger oder MP3s besaß, zählen heute variable Nutzungsbedingungen. Positiv gesehen: Musik kann nicht mehr wie auf CD oder LP verloren oder kaputt gehen. Ein negativer Aspekt ist jedoch, dass im Fall einer Abokündigung augenblicklich das komplette Musikkonto erlischt.

Doch in Zeiten von Facebook und Twitter kümmern derlei Einwände wenig, es gelten schlicht andere Prioritäten – Stichwort Vernetzbarkeit. Auch da wollen Streaming-Anbieter in die Zukunft weisen. „Wenn jemand einen Song mag, kann er ihn wahnsinnig schnell mit seinen Freunden teilen, indem er einfach den entsprechenden Link postet“, begeistert sich Christoph Lange, Geschäftsführer des Streaming-Anbieters Simfy. Nach der Registrierung wird von jedem Nutzer ein Profil erstellt, das es ihm ermöglicht, andere Mitglieder mit ähnlichen Musikvorlieben als Freund zu adden und sich mit ihnen auszutauschen. Streaming-Portale sollen also nach Vorstellung der Betreiber auch wie soziale Netzwerke fungieren. Nur so könne sich eine neue Art des Musikhörens etablieren, meint Lange. Darauf baut auch Oke Göttlich, Chef und Mitbegründer des Hamburger Online-Musikvertriebs finetunes: „Ich erwarte einen Trend zu redaktionell betreuten und technisch hochqualitativen Angeboten mit Community-Charakter.“

Sechs Millionen lizenzierte Titel stellt Simfy für zehn Euro im Monat zur Verfügung. Über 300.000 registrierte Nutzer greifen laut Eigenauskunft bereits heute darauf zu. Christof Ellinghaus verfolgt diesen Ansturm jedoch eher mit Skepsis: „Wenn ich von solchen Zahlen höre, denke ich: Das kann doch nicht euer Ernst sein.“ GEMA-Pressesprecherin Bettina Müller sorgt sich indessen um den Geldbeutel der Künstler: „Für Musikurheber kommen niedrige Streaming-Flatrates einem Ausverkauf ihrer Kreativität gleich.“ Sie hält das Streaming-Modell für durchaus zukunftsfähig, „aber gerade deshalb müssen Musiker in diesem Bereich eine angemessene Vergütung erhalten.“

Die Betreiber von Streaming-Portalen sehen sich hingegen als Pioniere einer neuen Ära, quasi als Erste Hilfe für die seit Jahren stagnierenden Musikindustrie. Der Vorwurf, Musik im großen Stil für Dumpingpreise zu verscheuern, klingt in ihren Ohren zynisch. „Mit einer 20-Euro-Pauschale hätten wir wesentlich weniger Leute in den Dialog bekommen. Man darf nicht vergessen: Wir vergüten jeden einzelnen Song“, wehrt Stefan Schulz ab. Simfy-Chef Lange pflichtet ihm bei: „Immerhin haben wir es geschafft, dass die Masse wieder Geld für Musik ausgibt.“ Endlich habe man ein probates Mittel gefunden, um illegalen Sharehostern und Internetpiraterie einen Riegel vorzuschieben, so Lange. „Ungefähr die Hälfte der Einnahmen geht an die Labels, die dann die Künstler ausbezahlen.“

Wie ertragreich das ist? Dem Blog „Information is beautiful“ zufolge müsste ein Song beim Portal Rhapsody 849.817 Mal gestreamt werden, um dem Autor des Stücks das US-Mindesteinkommen von 1.160 Dollar zu sichern. Bei Spotify sind es gar stolze 4.549.020 Streams. Wütende Reaktionen blieben bisher aus. Viele Musiker hätten von der vermeintlich großen Innovation noch gar keinen Wind bekommen, konstatiert Christof Ellinghaus. Die ersten Erlöse aus dem Streaming-Topf würden nicht vor Ende des Jahres ausgeschüttet.

Bis es soweit ist, werden Millionen von Nutzern weiterhin täglich auf legale und halblegale Seiten zugreifen, die kostenfrei sind. Auf YouTube allerdings sind im Lauf der letzten anderthalb Jahre immer mehr Musikvideos für deutsche Nutzer gesperrt worden – Grund dafür ist ein noch andauernder Rechtsstreit zwischen YouTube und GEMA, die sich nicht auf die Zahlungsmodalitäten einigen können. MySpace bietet eine im Vergleich zu YouTube kleine Auswahl an Songs und wenige Alben, diese sind allerdings von den jeweiligen Künstlern offiziell zur Verfügung gestellt. Kostenfreie Portale mit großem Sortiment gibt es immer weniger, das Internetradio Last.fm ist mit sieben Millionen Titeln das wohl umfangreichste. Und wenn es nach GEMA-Pressesprecherin Bettina Müller ginge, würden schon in naher Zukunft alle Streaming-Dienste Musik zur Einführung einer Monats-Flatrate verpflichtet. Tatsächlich liegt diese Idee in weiter Ferne.

Dass gebührenpflichtige Anbieter den Tonträger ablösen können, daran glaubt selbst zaOza-Betreiber Stefan Schulz nicht: „Bisher hat noch kein Medium ein anderes einfach so abgelöst. Die CD wird es weiter geben, weil man im tiefsten Inneren die Musik, die man mag, besitzen will.“ Und in dieser Aussage liegt genau die Crux. Echte Musikliebhaber dürften von der bizarren Vielfalt ohne jede Kategorisierung eher abgeschreckt sein. Zu schnell entsteht der Eindruck, dass hier Klick- und Besucherzahlen als Beweis herhalten müssen für ein vermeintlich intensives, kollektives Musikerlebnis. Zudem wirkt der Fortschrittsgedanke hinter dem Modell Streaming etwas überholt. Christof Ellinghaus fasst das folgendermaßen zusammen: „Streaming-Portale sind für mich in erster Linie Radiosender.“

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