DISSIDENTEN – Die exotische Welt des Pop

Nach musikalischen Forschungsreisen durch Indien und Nordafrika haben die DISSIDENTEN wieder einmal Neuland entdeckt: die exotische Welt des Pop

Und es begab sich zu einer Zeit, da Persien noch vom Schah unterdrückt und Afghanistan noch nicht von den Russen besetzt war, daß die deutsche Jazz-Rock-Gruppe Embryo eine Reise nach Indien unternahm. Ein Jahr lang war die Vagabunden-Karawane unterwegs und musizierte auf dem Weg ins gelobte Hippie-Paradies mit so manchem Musiker, den sie auf der Straße traf. Im Palast des Maharaja Bhalkrishna Bharti, und nicht etwa in einem Viehstall, wurde dem Gitarristen Uve Müllrich am ersten Weihnachtstag 1978 schließlich eine Tochter geboren, Bajka mit Namen, was auf Polnisch „Märchen“ heißt.

Schon als Ungeborenes auf Reisen, hielt sich das Mädchen auch später nur dort auf, wo die Musik spielte. Als ihr Daddy nach dem Indien-Trip bei Embryo ausstieg, um mit Friedo Josch und Marion Klein die Dissidenten zu gründen, lernte die kleine Bajka kennen, worüber andere Kinder gewöhnlich nur lesen: andere Erdteile, Länder und Sitten. Von den Eltern wurde sie kreuz und quer durch Asien geschleppt, von einem Konzert zum nächsten, und die ständig wechselnden Garderoben dienten ihr als Kinderzimmer. Mit zwei Jahren sang sie mit der indischen Vokalistin Ramamani in Bangalore die Tonleitern rauf und runter und trommelte, was die Händchen hergaben. Weil sie „blöderweise immer ins Bett mußte, wenn die Konzerte begannen“, ihr Vater aber am darauffolgenden Tag bis in die Puppen im Bett blieb, beschloß sie schon früh, in dessen Fußstapten zu treten. Die Trance-Musik der marokkanischen Gnauis beeindruckte sie bald mehr als die US-Charts. Und als sich ihre Eltern trennten und Bajka mit ihrer Mutter nach Durban/Südafrika zog, wo sie im Ghetto der Zuckerfabriken „außerhalb gesellschaftlicher Akzeptanz“ lebten, sang sie im Kirchenchor Gospel und machte auf dem Heimweg an brennenden Öltonnen halt, wo man sich traf, um zu dichten und zu singen. „An solchen Orten“, sagt Bajka, „an denen die Menschen nichts als die Luft besitzen, die sie atmen, wird musiziert, um zu wissen, daß man lebt.“

Ich singe, also bin ich. Und wie sie ist! Auf dem neuen Album der Dissidenten rappt sie so explosiv wie ihre Schwestern aus dem Ghetto und singt so lasziv, als habe sie ihr ganzen Leben in einem Londoner Nightclub verbracht.

Höhepunkt von „Instinctive Traveller“, so der programmatische Titel der CD, ist fraglos der „Lobster Song“, der das Zeug zum Sommer-Hit hat und den sie im Duett mit Manickam Yogeswaran, dem tamilischen Live-Sänger der Dissidenten, haucht. Aber auch sonst verblüffen die „wahren Paten des Ethno-Beat“ („NY Times“), die in Deutschland wohl Zeit ihres Lebens zum Untergrund gerechnet werden, während man sie in anderen Ländern auf eine Stufe mit David Byrne, Brian Eno oder Khaled stellt Denn diesmal haben sie aus den Mitbringseln ihrer „Expeditionen durch den globalen Dschungel der tanzbaren Töne und Geräusche“ ein Album gemixt, das den Terminus „Weltmusik“ auf den Punkt bringt.

Hier begegnen sich nun Dorian Wiright, Sohn des Spooky-Tooth-Sängers Gary Wright (der wiederum den Song „Shine On Me“ mitkomponierte), und das Karnataka College of Percussion, das schon auf dem Jungk Book“ zu hören war. Die Streicher stammen vom Königlichen Orchester Marokkos, die Indianergesänge von den kanadischen Ojibwe Singers und die Maori-Melodie in „Broken Moon“ von der Hawaiianerin Kumuhula Nona Kaluhiokalani. Paul Simons Saxophonist Richard Landry ist mit von der Partie, Jazz-Trompeter Manfred Schoof, der Rai-Sänger Noujoum Ouazza spielt Mandolincello – und die drei Dissidenten haben daraus ein von Trip Hop und Drum’n’Bass beeinflußtes Album gemacht, das einem Michael Cretu die Grenzen aufzeigt.

Nachdem sie Mitte der 80er mit „Sahara Elektrik“ Rai und Weltmusik in Deutschland popularisierten, überraschen sie nun all jene, die die Dissidenten als Dritte-Welt-Opas abgestempelt haben. Dabei ist „Instinctive Traveller“ eher zufällig ein Pop-Album geworden. Hatten sie bislang ihre Alben je einem Land bzw. Kontinentgewidmet, sollte diesmal durchgehend englisch gesungen werden. Statt in der Ethno-Welle zu versinken, wollten sie nach Perlen tauchen.

„Heimat ist da, wo mein Kopf ist“, hieß die Parole zu Beginn der Karriere. Nun war der Kopf wieder in der Heimat angekommen. Sozusagen am heimischen Swimming-Pool entdeckten sie mit Bajka eine Perle. Produzent Marion Klein ließ es bei den Aufnahmen vom Hocker, weil sie „vom ersten Moment an tonal völlig richtig lag“, es ihr mit 18 Jahren aber keineswegs an Feeling fehlt Wohl auch nicht an Selbstbewußtsein. Ihr erstes Solo-Album soll, in Anlehnung an das Michael Jackson-Album, „Her Story“ heißen.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates