Neugier im Blut

Nach "Bild"-Klatsch und Bohlen-Biografien hat Katja Keßler jetzt einen "frei erfundenen Tatsachenroman" geschrieben

Erst braust der Jeep um die Ecke, dann steuert Katja Keßler schnell das schicke Cafe in Hamburg-Harvestehude an. Sie spricht leise in ihr Handy, jongliert mit der anderen Hand eine große Tasche und schafft es trotzdem noch, für die Kellnerin ein heruntergefallenes Messer aufzuheben, während sie Hallo sagt und strahlend lächelt. Aber bevor man sich danach erkundigen kann, wie sie so vieles gleichzeitig schafft, hat sie selbst erst mal eine Menge Fragen: Haben Sie mit der Heldin ein Tränchen verdrückt? Ist Ihnen die Geschichte ans Herz gegangen? Könnten Sie sich in den Helden vergucken? Und kommt der Redaktionsalltag so struppig rüber, wie er in Wahrheit ist? Am Tag vor dem Interview hat Katja Keßler erstmals ihren Debüt-Roman in gebundener Form in den Händen gehalten, „Herztöne“ (Diana Verlag, 19,95 Euro), und sie ist sehr stolz darauf. Schreib doch mal was!, hatten immer wieder Kollegen gesagt, wie das eben so ist bei prominenteren Autoren. Doch Keßler war schon ausgelastet: Sie hat drei Kinder mit „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann, beriet die neue Promi-Zeitschrift „In-Touch“, schrieb Kolumnen. In den vergangenen Jahren verfasste sie noch die beiden berüchtigten Dieter-Bohlen-Biografien „Nichts als die Wahrheit“ und „Hinter den Kulissen“, dazu ein Kinderbuch.

Und nun also ein „frei erfundener Tatsachenroman“, wie sie es nennt. Die Heldin, Lissie Lensen, Redakteurin bei einem Klatsch-Magazin, hat einen kleinen One-Night-Stand mit einem Reeder und danach ein großes Problem, außerdem ist ihre Chefin ein fieses Stück, und die Aufträge machen oft keinen Spaß. Ja, Katja Keßler beschreibt hier ein Metier, das sie recht gut kennt. Jahrelang hat die gelernte Zahnärztin die „Miezen-Fotos“ auf dem Titel der „Bild“ betextet, dann schrieb sie die Boulevard-Geschichten auf der letzten Seite.

Statt die Heldin, wie anfangs geplant, Anwältin oder Arztin sein zu lassen, ist sie nun in Keßlers natürlichem Lebensraum zu Hause. Und dennoch hat die Autorin skrupulös recherchiert, damit alle Örtlichkeiten und sogar Details wie Flugverbindungen stimmen. Sie „cruiste“ durchs nächtliche Hamburg und sammelte Szenenbilder, fotografierte im Hotel Louis C. Jacob und am kaum weniger luxuriösen Feenteich, um dann die Clipboards mit den aufgeklebten Bildern auf einem alten Notenständer vor dem Schreibtisch zu deponieren – als Inspiration. Wenn sie auf eine Party ging, notierte sie klammheimlich Gesprächsfetzen und Ideen, „wie ein Blutegel“.

Katja Keßler schämt sich nicht für ihr Interesse an Klatsch. „Ich bin mit einem Neugier-Chromosom geboren worden. Ich habe schon bei meinem Vater im Wartezimmcr immer die Promi-Teile der Zeitschriften verschlungen, ich fand das spannend. Und so ist das heute noch. Deshalb hin ich ja damals im Praktikanten-Zimmer des .Bild‘-Unterhaltungsressorts gelandet.“ Im „biblischen Alter von 28“ verließ sie vor zehn Jahren die Praxis und betrat die Glitzerwelt-und hat das nie bereut. Für Leute, die ihre Arbeit unseriös finden, hat sie nur ein Schulterzucken übrig. „Gut gemachter People-Journalismus bringt mir als Frau mindestens genauso viel wie gute Politikberichterstattung. Denn selbst wenn ich das Wahlkampfprogramm von Minister XY nicht bis ins Kleingedruckte kenne, so kann ich dennoch sagen: Einer, der vier Jahre eine Geliebte hat, die Ehefrau nach Strich und Faden belügt, das ist ein Mann, der wohl auch im restlichen Leben gern mal den Blinker setzt und bei der Wahrheit links abbiegt.“

Ein Enthüllungsroman kam für sie allerdings nicht infrage. „Das ist wie der Ehrenkodex beim Arzt: Der plaudert ja auch nicht die Anamnese seiner Patienten aus. Apropos! An einer Stelle sinniert Lissie über das Leben einer Journalistin und denkt: Von wegen ,Fakten, Fakten, Fakten.‘! Psychotherapeutin, Krankenschwester, Anstaltsleiter. Ich schließe mich meiner Heldin an.“ In „Herztöne“ geht es auch um die Einsamkeit, die einen befallen kann, obwohl man von unendlich vielen Menschen umgeben ist, und die Schwierigkeit, Professionalität, Skrupel und Mitgefühl unter einen Hut zu bringen. Die Beschreibungen von quälenden Redaktionssitzungen und katastrophalen Terminen für scheinbare Skandalgeschichten sind-über Keßlers gewohnten Wortwitz hinaus so komisch, weil man merkt, dass sie wahr sein könnten. Und die Liebesgeschichte dazu ist vielleicht nicht mega-originell, wie Dieter sagen würde, aber drollig, weil die Heldin so unsouverän wie unerschütterlich von einem Desaster ins nächste stolpert.

Am liebsten arbeitete Keßler nachts an den Abenteuern von Lissie Lensen, weil dann „die besten Gedanken um die Ecke tippeln“. Tagsüber ist zu Hause „immer jemand am Weinen, Schreien oder wirft gerade was runter“, die Kinder sind 1,3 und 5. Eigentlich wollte sie nun auftreten, als wäre ihr die Meinung anderer egal, doch das ist nicht so einfach wie bei den Bohlen-Büchern. „Dieses Buch ist mein Baby. Ich bin zwei Jahre mit dem Manuskript schwanger gegangen, habe an der Handlung geklöppelt. Aber natürlich wäre es cooler zu sagen: Goethe hat mich geküsst! Habe ich alles in nur fünf Tagen in den Computer gehackt.“

.Wie sie mit Kritik umgeht? „Ganz toll – ich bekomme Schaum vorm Mund und den Stechpupillenblick. Meinem Mann habe ich auch mal gesagt: ,Lies das jetzt‘. Aber dann hat er wie wild im Manuskript rumgekrickelt, und ich habe ihn lieber mit einem Teller Nudeln vor den Fernseher gesetzt. Da konnte er keinen weiteren Schaden anrichten.“ Die beiden sind offensichtlich grundsätzlich anderer Meinung bei der .Auswahl vonEssen, Fernsehprogramm und bei der Beurteilung von Texten“-und allzuviel Hoffnung, dass andere Männer ihre „Herztöne“ besser verstehen werden, macht Katja Keßler sich nicht. „Das ist testoronfreie Zone. Aber wünschenswert wär’s trotzdem. Dann müsste man ihnen nicht immer mit der Bratpfanne auf den Hinterkopf hauen, damit sie mal was merken.“

BIRGIT FUSS PRINT-POPl von Frank Schüfer Der Leuchtturm (Carlsen, 16 Euro) von Bruno Le Floc’h ist ein historischer Comic, der weniger auf Spannungswerte und eine abenteuerliche Handlung setzt, sondern sich um plastische Charakterzeichnungen, realistische Interieurs, Atmosphäre und nicht zuletzt um sozialgeschichtliche Korrektheit bemüht. Ein junger Pariser Ingenieur wird von der französischen Regierung, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, an die raue bretonische Küste geschickt, um dort den Bau eines Leuchtturms in die Wege zu leiten. Der junge Mann hat manche Widerstände zu überwinden, muss sich gegen die halsstarrigen, desinteressierten und stolzen Seeleute der kleinen Hafenstadt ebenso durchsetzen wie gegen die Verschnarchtheit und Ranküne des fernen Ministeriums, vor allem muss er seinen eigenen Metropolen-Dünkel überwinden. Nach einigen Rückschlägen aber nimmt das Projekt Form an. Le Floc’h hat gut recherchiert. Die Gebäude, die Arbeitsgeräte, die folkloristischen Trachten, das wirkt alles ziemlich authentisch. Dennoch wird man nicht so richtig heimisch in dieser alten Welt, und das hat vor allem erzähltechnische Gründe. Le Floc’h strukturiert seinen Plot durch Briefe, die der Ingenieur an einen engen Freund schickt. Und der Autor hält sich strikt an die Ökonomie des Briefes, dadurch gerät ihm gerade das Szenische etwas elliptisch und skizzenhaft. Mit einem ruhigeren Erzähltempo, das heißt mindestens einer Verdopplung des Umfangs bei gleicher Plotdichte, hätte er sein Anliegen, die Dokumentation einer historischen Alltagswelt, sehr viel überzeugender umgesetzt. 2,5 Weite Welt (Luchterhand, 19,95 Euro) von Tim Winton versammelt 17 Geschichten, „die sich am Ende fast zu einem Roman zusammenfügen“, wie der Klappentexter ungewöhnlich zurückhaltend formuliert. Fast? Winton springt zwischen den Zeiten, den Schauplätzen, Protagonisten und nicht zuletzt den Erzählperspektiven und arrangiert diese heterogenen Wirklichkeitsausschnitte so planvoll und nachvollziehbar, dass sich daraus tatsächlich eine eigene Romanwelt, nämlich das kleine, langweilige, aber durch und durch verrottete Hafenstädchen Angelus materialisiert. Alles hängt hier mit allem zusammen, und wenn nicht auf der reinen Plotebene, dann zumindest in der ästhetischen Tiefenstruktur, in mehreren Geschichten, beinahe wie in einer Fallstudien-Reihe, führt Winton etwa die deformierte Familie vor. Meistens spielen Drogensucht oder Alkoholismus eine ursächliche Rolle, und was sich die Menschen in Angelus gegenseitig antun, das ist dann ganz und gar nicht provinziell, das kann im globalen Wettbewerb durchaus mithalten. Man spürt den bösen spiritus /oc/förmlich. Die häufig beschworene Sehnsucht nach dem Auf bruch in die „Weite Welt“ bekommt so eine Motivation und eine gewisse Dringlichkeit, aber die Protagonisten werden den Trangeruch der ehemaligen Walfängerstadt Angelus nicht los. 4,5 Das Schicksal der Nathahe X (Berlin. 1 Euro) von William Boyd, eine Sammlung von elf mittellangen Erzählungen, ist nicht umsonst betitelt nach der eröffnenden Kinogeschichte, einer souverän heruntergekühlten, eleganten Satire auf die Mechanismen des Spektakels in Hollywood. Die meisten Erzählungen dieses Bandes entleihen ihre Formsprache dem Film. Boyd arbeitet mit harten Cuts, Gegenschnitten, Überblendungen und fliegenden Erzählerwechseln – und trotzdem sind diese Storys zuallererst Literatur und nicht bloß Vorlage für ihre baldige Verfilmung. In den besten, zugleich rätselhaftesten Geschichten widmet er sich historischen Stoffen. „Verklärte Nacht“ etwa nimmt ein paar kryptische Notizen Ludwig Wittgensteins zum Anlass. um sie anschließend in kleineren Meditationen mit erzähltem Leben zu füllen. Boyd leiht Wittgenstein eine Stimme, macht ihn zum Ich-Erzähler dieser Fragmente, und so entsteht ein komplexes, rätselhaftes Seelenporträt des untröstlichen Sprachphilosophen. In „Kork“ wiederum schickt er einen Wiedergänger Fernando Pessoas ins Rennen, der sich im Korkhandel verdingt, und spiegelt dessen fragilen, morbiden Charakter in einer historischen Abhandlung über die heikle Korkverarbeitung. Boyd ist ein formal trickreicher, abgebrühter, gebildeter Erzähler, der allerdings nur über eine einzige Tonlage verfügt – die des beherrschten, soignierten, noch in der Verzweiflung selbstgewissen Bildungsbürgers. Stilistisch ist das alles andere als gewagt, mitunter sogar ein wenig gespreizt.* 3,5 Dirty Blonde. Die Tagebucher (Kiepenheuer & Witsch, 14,95 Euro) von Courtney Love. Ja, die Tagebücher hätte man unter umständen gern gelesen, aus voyeuristischem Interesse. In diesem unordentlichen Konvolut aus Schmierzetteln. Mails, Songtexten, Briefentwürfen, Telefonkritzeleien, offiziellen Dokumenten und Fotos kann man allenfalls herumblättern. Es sind die enormen, durch den spärlichen Kommentar kaum aufgefüllten Lücken, die den Lesefluss hemmen, zudem bleiben die einzelnen Textletten viel zu oft kryptisch und fügen sich so kaum zu einem Charakterbild. Es sei denn, es ginge einmal mehr darum, das Enigmatische ihrer Person zu beweisen. Selektion scheint nicht stattgefunden zu haben. Die typische wolkig-absurde Kleinmädchenpoetelei, die gleich neben der Bay City Rollers-Collage steht, nimmt sie genauso wichtig wie ein paar dann wirklich einmal aussagekräftige Akten aus dem Erziehungsheim, in dem sie ein paar Jahre lang einsitzen musste. Diese Zeit ist interessant, denn hier wird das sozial unverträgliche Mädchen zur Räson gebracht, bekommt sie einen Pragmatismus beigebogen, der sich für ihre weitere Karriere als durchaus förderlich erweist. Später bewegt sie sich ziemlich behend auf dem schmalen Grad zwischen rotziger Riot-Grrrl-Attitüde und professioneller Stromlinienförmigkeit. Und was schreibt sie über Cobain? Wer hier neue Einsichten erwartet, hat es verdient, enttäuscht zu werden.1,5

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