New Noises

01 Man hätte sich ja gewünscht, dass der Songschreiber BRENDAN BENSON zuletzt bei den Raconteurs etwas häufiger zum Zug gekommen wäre, waren es doch nicht zuletzt seine Beiträge, die das Debüt der Band zu einem Genuss machten. Letztlich war seine Mitwirkung bei Jack Whites Allstar-Truppe freilich ein Segen. Verschaffte sie Dauer-Geheimtipp Benson doch endlich eine gewisse Öffentlichkeit, die sich nun positiv auf die Produktionsmittel seines vierten Solo-Albums „My Old, Familiar Friend“ ausgewirkt hat. In London und Nashville durfte Benson aufnehmen, die Top-Producer Gil Norton und Dave Sardy standen zur Seite. Heißt natürlich auch, dass der zauberhafte Lo-Fi-Wohnzimmer-Indie-Charme von Alben wie „Lapako“ einem weitaus konventionelleren Rock-Sound gewichen ist. Immer noch weisen Songs wie „Don’t Wanna Talk“ den Mann aber als genuinen Songschreiber mit hohem Melodiegespür aus. Natürlich weiß Benson, dass irgendwann der Punkt kommt, an dem alle Worte vergebens sind: „Don’t wanna talk now/ Don’t wanna know why/ You say you’re lonely, but baby so am I“. Klingt bei kaum einem so schön wie bei ihm!

02 Nach schwungvollem Start war es zuletzt etwas ruhiger geworden um den einstigen Hardcore-Aktivisten Anders Wendin. Unter dem Moniker MONEYBROTHER längst ein Künstler nach eigenem Recht, hatte Wendin sich eine Weile aufsein Wirken in der schwedischen Heimat konzentriert, wo er neuerdings auch in Tomatensuppe macht. Kein Witz. Nun legt er auf seinem eigenen Label ein weiteres Album vor, „Real Control ‚, auf dem Moneybrother das komplette Spektrum seiner musikalischen Grundfarben Reggae und Soul auslotet. Doch auch Ska-infizierte Disco-Stomper mit Springsteen-Einschlag beherrscht Wendin noch sehr gut, wie unser “ New Noises“-Track „Born Under A Bad Sign“ beweist.

03 Sollten Sie in den nächsten Wochen irgendwann das dringende Bedürfnis verspüren, auf die Straße zu rennen, sich selbst und alle anderen mit einem Feuerwehrschlauch zu bespritzen und zu tanzen, sollten sie dazu unbedingt „Drink Sister, Drink“ von MISS PLATNUM auflegen. Zwei Jahre nachdem die Berlinerin mit einem viel beachteten Debüt ihre rumänischen Wurzeln erforschte, zeigt sich die alkoholischen Getränken offenbar nicht abgeneigte Künstlerin auf ihrem neuen Album „The Sweetest Hannover“ nun deutlich inspiriert von Künstlern wie Santigold oder M.I.A. Doch keine Angst: Auch der Balkan-Pop ist noch da, unter anderem arbeitete Platnum in Belgrad mit einem Gypsy-Blasorchester. Genre-Einordnungen sind bei so was immer schwierig, eines aber steht fest: Die Musik von Miss Platnum, die wir hier der Einfachheit halber R&B nennen wollen, hat ein nicht ganz unwesentliches Element, das vergleichbaren Produktionen aus den USA meist fehlt: Feuer.

04 Der schillerndste Wunder-Pop kam bereits im letzten Jahr von der britischen Musikgruppe WILD BEASTS. Nun aber glauben wir nicht zu übertreiben, wenn wir sagen: Das zweite Album „Two Dancer“ ist ihnen noch besser gelungen. „This Is Our Lot etwa beginnt mit einer zwischen The Edge und Fugazi changierenden Gitarre über einem überaus gewieften Beat. Eher beiläufig setzt schließlich das exaltierte Falsett des Hayden Thorpe ein, der wiederum ein wenig an den frühen David Thomas (Pere Ubu) erinnert. Ganz langsam, mit bestechendem Gespür für Dramaturgie und Dynamik bauen die Wild Beasts auf dieser Basis ein edles Pop-Kleinnodium der besonderen Art auf. Zum eruptiven Ausbruch kommt es erst im letzten Drittel, wenn Thorpe in die Kopfstimme geht und den Mond anheult. Danach: Stille. Und Repeat, wieder und wieder.

05 Es gibt sie noch, jene Tüftler, die im heimischen Schlafzimmer auf antiken Vierspurgeräten eine ganze Welt erschaffen. Matthew Thomas Dillon ist so einer. Der Songschreiber war ohne kommerzielle Hintergedanken allen möglichen Ideen gefolgt, ehe sein nächtliches Tun eher aus Versehen in der Gründung der Band WINDMILL mündete. Deren vor zwei Jahren erschienenes Debüt war bereits überaus positiv aufgenommen worden, dem zweiten Werk eilt nun noch größere Lobpreisung voraus: Zuhause in Großbritannien wird „Epcot Starfield“ ausnahmslos euphorisch rezensiert. Wir können immerhin sagen, dass Dillon mit dem verträumt schwebenden „Big Boom“ ein ganz wunderbarer Vorbote auf ein Werk gelungen ist, das nun auch wir mit Spannung erwarten.

06 Sehr bedanken möchten wir uns bei der fabelhaften Folkband THE LOW ANTHEM, dass sie uns für diese Ausgabe der “ Netv Noises“ einen exklusiven Song zur Verfügung gestellt hat, der nicht auf dem – übrigens famosen – Album „Oh My God, Charlie Darwin“ zu rinden ist. Nicht etwa weil er nicht gut genug wäre! „Bless Your Tombstone Heart“, eine Parabel, die sich aus Western-Motiven bedient, beginnt zunächst als spröder Lagerfeuer-Folk, entwickelt jedoch im weiteren Verlauf eben jene unaufgeregte Tiefe, der diese Band ihr besonderes Moment verdankt. Erhaben.

07 Der Songschreiber NORMAN PALM hat bislang vor allem mit einer Cover-Version Aufmerksamkeit erzeugt – Cyndi Laupers „Girls Just Wanna Have Fun“. Auf seinem nun erscheinenden Album-Debüt vergreift er sich mit „Boys Don’t Cry“ an einem weiteren Klassiker – dabei sind Palms Eigenkompositionen doch viel eher der Beschäftigung wert! Geschrieben hat der moderne Bohemien Songs wie „Tonight, Today“ irgendwo zwischen Berlin, Mexico-City und Paris auf seinem Laptop. Und da Palm außerdem ein Kunststudium in der Tasche hat und als Journalist arbeitet, bündelte er nun seine Fähigkeiten, indem er ein begleitendes Buch schrieb und malte, in dem er all die Geschichten hinter den Geschichten festgehalten hat.

08 Der Grammy-dekorierte Musiker JOE HENRY veröffentlicht mit „BloodFrom Stars“ zwar bereits sein elftes Album, vielen dürfte der Mann trotzdem vor allem als stilbildender Produzent hinter Leuten wie Elvis Costello, Ornette Coleman und sogar Madonna ein Begriff sein. Ungeachtet dessen gelingen Henry immer wieder erlesene Werke. Unser „New Noises „-Beitrag entstand auf der Basis eines Riffs des Gitarristen Marc Ribot. Henry hatte den versierten Virtuosen gebeten, für einen Moment all seine technischen Fertigkeiten zu vergessen und so „primitiv“ wie möglich zu agieren. Herausgekommen ist ein leicht an Toni Waits erinnernder Bar-Blues, der mit jauchzender Trompete und torkelndem Piano ins Jazzige exkursiert – und wieder zurück. Dann kommt Ribot mit einem Solo, das schmutzig zu nennen ein Understatement wäre. Herrlich!

09 Man käme nicht unbedingt auf Anhieb auf den Gedanken, die amerikanische Band MAPLEWOOD könnte aus New York stammen. Assoziiert man mit dem Big Apple doch zumeist reduzierten Garagen-Rock und dergleichen. Diese Band hingegen setzt überwiegend auf harmoniesatte Westcoast-Hymnik mit melancholischem Einschlag. „Yeti Boombox“ ist nun bereits das zweite Album der Band um Ira Elliot von Nada Surf, und wie schon beim Debüt assistierten abermals prominente Gäste, unter anderem von Sparklehorse und America. „Embraceable“ ist eine elegisch schmachtende Akustik-Ballade, interpretiert wie ein Klagegesang.

10 Wir hatten bereits im letzten Heft auf die großartige Zweitband des Schlagzeugers der Feiice Brothers hingewiesen -THE DUKE AND THE KING. Jener Simone Felice nimmt gerade eine längere Auszeit von der Band seiner Brüder, um seiner Frau nach einer Fehlgeburt beistehen zu können. Außerdem schrieb Simone Feiice einen Krimi, es ist bereits sein zweites Buch, fand aber immerhin noch die Zeit, mit seinem Partner Robert „Chicken“ Burke eine der schönsten Platten der letzten Monate aufzunehmen: „Nothing Gold Can Stay“. Weniger den Roots verpflichtet als die Hauptband, ist der Folk von The Duke And The King etwa in „Still Remember Love“ deutlich poplastiger, wenngleich mitnichten schlechter. Je häufiger man den Song hört, desto mehr wächst er – ins Unermessliche.

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