New Noises Vol. 69

Von der Redaktion gehört und für gut befunden. Von Winterschlaf kann in diesem Jahr wirklich nicht mehr die Rede sein. Heiß erwartete neue Alben von Adam Green, Tocotronic, Bright Eyes, Rufus Wainwright oder Trail Of Dead machen die kalte Jahreszeit so anregend, dass man den Frühling eigentlich schon gar nicht mehr braucht.

01 „Beauty is evil/ 1 like to be evil/ Can’t you see?“ Wer die Chance hatte, ADAM GREEN im letzten Jahr live zu sehen, wird diese Zeilen schon kennen. „He’s The Brat“ war schon weit vor der Veröffentlichung von Greens drittem Soloalbum „Gemstones'“ ein Live-Favorit. Schon lange trug er die fertigen Songs mit sich herum, war zu schnell für den Veröfientlichungs- und Verwertungszyklus der Plattenindustrie. Dass der ebenfalls wundervolle Nachfolger des 2002 zu Recht so gefeierten „Friends Of Mine“ auch ohne die berauschenden Streicher des Vorgängers auskommt, geht wohl auf Strokes-Frontmann Julian Casablancas zurück, der die neuen Songs – eingespielt von Adam Greens live-erprobter Band – hörte und nichts vermisste. Recht hat er.

02 Auch TOCOTRONIC haben sich von den flauschigen Arrangements ihres letzten Albums verabschiedet und ihr neues Werk „Pure Vernunft darf niemals siegen“ live im Studio eingespielt – mit dem neuen vierten Bandmitglied und langjährigen Tour-Keyboarder Rick McPhail an der zweiten Gitarre. Die Texte wieder mythisch verschwurbelt, klingt die neue Besetzung ein bisschen nach den frühen Go-Betweens – zwischen „Send Me A Lullaby“ und „Before Hollywood“. Eine Art New Wave.

03 Vor der großen Geste hat RUFUS WAINWRIGHT ja noch nie zurückgeschreckt.

Da wundert es einen schon fast, dass er die Verehrung, die ihm vor allem in der gay Community zuteil wird, zurückweist und sich lediglich als Rufus, der Täufer versteht, der nur die Ankunft des schwulen Messias ankündigt. Aber auch die Ironie war ihm ja nie fremd, und schwule Stereotypen waren schon auf seinem zweiten Album „Poses“ ein Thema. Doch „Want Two“, der grandiose zweite Teil seiner „Want“-Saga, lässt vermuten, dass er in „Gay Messiah“ in all seinem Größenwahn fast ein bisschen untertreibt.

04 Und wo wir schon beim Größenwahn sind, kommen …AND YOU WILL KNOW US BY THE TRAIL OF DEAD gerade recht. Trotz der Punk-Vergangenheit war ihnen der Prog-Rock-Gestus auch nie völlig fremd. Inzwischen scheinen sie endlich auch die Produktionsmittel zu haben, um ihre wilden Träume auch im Studio umzusetzen. Auf dem nach einer Reality Soap benannten „fförlds Apart „breiten sie die Arme weit aus, umarmen alles von Pink Floyd bis Coldplay, von The Clash bis U2, spannen ihr Repertoire von der zweiminütigen Gitarrenpopsong bis zum achtminütigen Opus mit Konzertflügel.

05 Der struppige Wolfsjunge von „Lycantropy“ hat sich mit seinen gerade mal 21 Jahren auf „Wind In The Wires“ (VÖ 21.02.) zum großen Songkünstler gemausert. Auf dem zweiten Album von PATRICK WOLF tritt das „Laptop“ in Laptop-Folk im besten Sinne hinter einem in Versalien gefassten „Folk“ zurück. Die elektronischen Spielereien weichen dabei größtenteils souveränem Songwriting, die mediävalen Elemente des Debüts begleiten auch die neuen Stücke.

06 Unser liebster Wunderknabe bleibt in diesem Jahr jedoch Conor Oberst Anfang diesen Jahres veröffentlichte er mit seinen BRIGHT EYES gleich zwei außergewöhnliche neue Alben. Das eine, „I’m Wide Awake,lt’s Morning“ zeigt den gereiften Songwriter mit seinen bisher besten Stücken mit gewohnt opulenter Folk-(Rock)-Begleitung. Das wahre Wunderwerk ist jedoch „Digital Ash In A Digital Urn“ Obersts Versuch, aus dem gewohnten Bright Eyes-Schema auszubrechen und sich in einem elektronischen Umfeld von seinem natürlichen Rhythmus zu lösen. Die Hitsingle (Platz 2 in den Billboard Hot 100 Sales Charts!) „Take It Easy (Love Nothing)“ zeigt, dass das mehr als gelungen ist.

07 Als im Jahre 2002 die Single „Losing My Edge“ von LCD SOUNDSYSTEM erschien, kündete sie von einer neuen spannenden Wendung der modernen Rockmusik. Radikaler, elektronischer, freier als alles aus der Gegenwart. Eingelöst wurde dieses Versprechen dann schließlich von The Raptures „Echoes“ – produziert wurde das Album vom Produzententeam DFA. Dahinter verbergen sich Tim Goldsworthy und James Murphy. Kein Wunder, ist Letztgenannter doch der Kopf von LCD Soundsystem, deren fiebriges, selbstbetiteltes Debüt nun endlich erscheint – auf einer Bonusplatte sind praktischerweise auch die epochalen ersten Singles noch einmal nachzuhören. Das stupende „Yeah“ sogar gleich in zwei Versionen.

08 Die Idee ist so einfach wie genial: eine EP, zwei Musiker, acht Songs. Beide steuern drei Lieder bei und covern jeweils eines des anderen. „Home“ heißt diese intime kleine Serie des britischen Post-Parlo-Labels, die bisher nur über ein Abonnement erhältlich war. Der fünfte Teil der Reihe erscheint nun auch ganz offiziell bei uns unter dem Titel „Home EP Vol. V“. Die acht Songs teilen Death Cab For Cuties BEN GIBBARD und Andrew Kenny von American Analog Set unter sich auf. Aufgenommen haben die beiden ihre Stücke dem Titel gemäß jeweils zu Hause in ihren Wohnzimmern in Seattle und New York.

09 Noch während der Aufnahmen zum letzten Ash-Album „Meltdown“ begann deren Gitarristin CHARLOTTE HATHERLEY bereits mit den Arbeiten an ihrem ersten Soloalbum. „Grey Will Fade“, das Ergebnis dieser Arbeiten, erschien bereits im letzten Sommer in Großbritannien, wird nun auch hierzulande veröffentlicht und steht dem Power Pop ihrer Band in nichts nach. Wirkt teilweise sogar ein bisschen frischer und druckvoller, wobei Frau Hatherley aber auch die langsameren, akustischen Stücke berückend darbietet.

10 Kehren wir zurück zur großen Geste vom Anfang der „New Noises“ dieses Monats. MERCURY REV waren darin immer Meister. Wohl vor allem auch Dank der Produktionskompetenzen von David Fridmann und der Emphase von Sänger Jonathan Donahue, der auf der Bühne aussieht wie Marc Almond, der versucht, Oscar Wilde zu imitieren. Manche sagen, auf „Secret Migration“ hätten sie’s ein bisschen übertrieben, zwischen all der Melancholie, den Träumereien und Verzierungen die wirklich großen Songs vergessen. In geringen Dosen ist das aber allemal noch delektabel.

11 US-Songwriter RAY LA-MONTAGNE wirkt nicht nur äußerlich wie eine Mischung aus Richie Havens und Cat Stevens, sein von Ethan Jones produziertes Debüt „Trouble“ strahlt die gleiche beseelte Ekstase aus wie die beiden Giganten der 70er-Innerlichkeit. Ray Montagne hatte sein Erweckvingserlebnis allerdings, als er in Maine in einer Schuhfabrik arbeitete und im Radio „Tree Top Flyer“ von Stephen Stills hörte. Die Wege des Herrn sind unergründlich.

12 Heidi Triska und Gerald Huber von der Münchner Band Cat Sun Flower haben gemeinsam mit befreundeten Musikern unter dem Namen TRISKA eine Art Soloalbum aufgenommen. Unter anderem wirken Tobias Kuhn von Miles, Andy Barsekow von Campus und Ralf Nickolaus von den Moulinettes mit. Der Albumtitel „Stay Warm“ ist Programm. Wohliger Wohlfühl-Folk zum Aufwärmen an kalten Winterabenden.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates