Newcomerin Jiliaan: Verliebt in Chopin und Adele
Die Berliner Sängerin ist an vielen Orten zuhause und setzt auf tiefe Gefühle und den Buchstaben „L“.

Am Anfang stand bei Jiliaan das Klavier. Es wurde für die Wahlberlinerin, die in vielen Städten zuhause ist, schon mit fünf Jahren zu so etwas wie einem ständigen Begleiter. Allein in einem Raum mit einem Instrument, das mit seinem Klang alles für sich einnimmt, ja auch so laut ist, dass kein anderes Geräusch mehr durchdringt.
Deshalb war es keine Frage, ob das Klavier auch zu einem Hauptdarsteller auf der ersten Songsammlung der Sängerin werden würde. „L“ beginnt gleich mit einem „Lullaby“, einem Wiegenlied, völlig ohne Gesang, die Klaviertasten zart gestrichen. Es könnte der Einstieg für ein Album von Malakoff Kowalski oder Niklas Paschburg sein. Aber der dunkelwolkige Sound der Neoklassik ist nur ein Einsprengsel.
Gleich mit „Love Like A Movie“ wird klar, dass es Jiliaan eher hin zu einer großen Stimme des Pop zieht. „Meine Musik klingt ein wenig so, als hätten Chopin und Adele ein Baby“, erklärt die Songwriterin, die für das Stück auch ein „Nocturne“-Motiv des weltberühmten polnischen Pianisten verwendete.
Von großen Gefühlen und wichtigen Rückzugsorten
Die emotionale Britin war schon deswegen eine Inspiration, weil sie sich in ihren Songs auf ganz eigene Art seelisch öffnen kann. Der Buchstabe „L“ steht hier nun, ganz ohne symbolischen Ballast, für dieses Loslösen von Gefühlen, das eigentlich alle Songs von Jiliian bewegt: Jedes Lied beginnt mit einem solchen „L“, von „Little Do You Know“ bis „Lonely“.
Letzterer entstand schon vor gut zehn Jahren und ist für die Sängerin auch einer ihrer wichtigsten Songs. Er handelt vom Vermissen, konkret von der Sehnsucht nach ihrem Bruder, der immer auch ein Verbündeter in der Hinwendung zur Musik war, sich aber irgendwann ein Stück weit von der Familie lossagte. „Er war immer mein Held“, sagt sie über ihn. „Musik war immer unser Ding, unser Rückzugsort. Wir standen auch gemeinsam auf der Bühne.“ Auch wenn der Song sich über die Zeit weiter entwickelt hat, neue Themen miteinander verband, entstand er doch aus dieser Grundhaltung heraus.

Heimweh dürfte auch so eine Konstante sein. Die in Hamburg geborene Jiliaan ging in ihrer Jugendzeit in England auf ein Internat, das Klavier war da erst einmal abgemeldet (inzwischen dient es wieder dem Vertiefen in klassische Musik, aber fast ausschließlich für sie selbst). Doch der Bezug zur Musik blieb. Neben einem Studium in Amsterdam entschied sich die Sängerin für eine klassische Stimmausbildung – und ROLLING-STONE-Leser haben vielleicht auch schon einen ihrer Texte gelesen.
„L“ ist nun aber auch ein Ausrufezeichen, nicht zu lange damit zu warten, die eigenen Songs in die Welt zu entlassen. Die Begeisterung für Musik sog Jiliaan indes nicht mit der Muttermilch auf. Die Tochter von Sportmoderator Gerhard Delling und einer Journalistin fand aber Zugang über eine Band, bei der das Klavier allenfalls eine Nebenrolle spielt. Jiliaan: „Wir haben sehr viel The Eagles gehört zu Hause. Das ist unsere Familienband. Immer wenn die Musik lief, haben sich alle verstanden.“
Während viele Songs wie „Leave Me Be“ zwischen modernem Indie-, Jazz-Pop und Neo-Soul changieren (mit Anklängen an Olivia Dean), sticht das Hochpersönliche der Texte hervor. „Es ist schon ein wenig so, als würde man mein Tagebuch lesen“, sagt die Sängerin. „Jeder Song hat sein eigenes Trauma, das ich damit irgendwie verarbeite.“
Wobei es Jiliaan so vorkommt, als sei der Moment ihres Entstehens oft jener, wenn der Schmerz fast, aber noch nicht ganz durchlebt ist. So beginnen die Stücke der jungen Musikerin oft mit einer Idee, die sich dann transformiert und neue Facetten öffnet. „Love Like a Movie“ handelt hintergründig auch vom Umzug von London nach Berlin, von der schmerzhaften, aber notwendigen Abkehr von einem Leben, das so nicht mehr stattfinden kann. Ein wenig, so deutet es Jiliaan an, war es auch eine Flucht vor einem fast zu perfekten Script, das sich anfühlte wie in einem Hollywoodfilm.
Manchmal braucht es doch etwas weniger Träume und mehr Realität. Und Musik, die selbst wie ein Dialog funktioniert mit Freunden, die man nicht (mehr) jeden Tag sehen kann.