Nicht-arisch wie Jesus

Sein Judentum zelebrierte Gainsbourg in Nazi-Opern und Israel- Hymnen – weil er keine Lust darauf hatte, das Opfer zu spielen.

Die Unterstellung, ein respektloser Eklektiker und frivoler Selbstdarsteller zu sein, hat Gainsbourg sein Leben lang begleitet. Nie wurde die Öffentlichkeit müde, ausgerechnet an ihm hervorzuheben, was jedem Entertainer problemlos zugebilligt wird: sein unverkrampftes Verhältnis zur Kulturindustrie. Hin und wieder wurde das Ressentiment offen ausgesprochen. Etwa als der Kulturjournalist Michel Droit aus Anlass von Gainsbourgs 1979 produzierter Reggae-Version der „Marseillaise“ die Sorge äußerte, die Verhöhnung der Nationalhymne durch einen Juden drohe den Antisemitismus zu befördern. Gainsbourg antwortete damals mit einem Text, in dem er die Ehrungen aufzählte, die der frühere Résistance-Kämpfer Droit erhalten hatte, und trieb im Freundeskreis Späße mit der Mehrdeutigkeit von Droits Namen, der „Recht“ oder „rechts“ bedeuten kann.

Wo immer Gainsbourg sich aber aus freien Stücken auf sein Judentum bezogen hat, tat er dies mit fast aggressivem Selbstbewusstsein. Nicht mit der Stimme des Opfers wollte er sprechen, sondern mit der des Siegers, der aller Demütigung zum Trotz keineswegs nur überlebt hatte, sondern ein genussreiches Leben führen wollte. Auch deshalb machte er Affären und Alkoholkonsum öffentlich, verbrannte in Talkshows Geldscheine und gab seinen Namen stolz als Markenartikel für Filmmusik her.

Dabei ließe sich seine Biografie durchaus als „Opfergeschichte“ erzählen. Seine Eltern waren 1919 vor den Bolschewisten aus Russland nach Paris geflüchtet, wo er unter jüdischen Immigranten aufwuchs. Nach Kriegsbeginn zog die Familie aufs Land, war Repressalien ausgesetzt. Gainsbourg musste den gelben Stern tragen, vor dem Zugriff der SS versteckte er sich im Wald – Erfahrungen, die er 1975 auf seinem Album „Rock Around the Bunker“, einer von Gershwin inspirierten Nazi-Revue, mit einem Sarkasmus verarbeitete, der noch heute verstört. Der Stern wird hier als Hauptgewinn („J’ai gagné le Yellow Star“) karikiert, der seinen Träger zum „Big Chief“ mache, „Nazi Rock“ karikiert den Nazismus als Splattershow. Nicht als „Zeuge“ Rechenschaft über sein Leiden abzulegen, sondern als Davongekommener auf den Gräbern der Mörder zu tanzen, war die Triumphphantasie, die Gainsbourg hier inszenierte.

So wundert es auch nicht, dass er 1967 aus Anlass des Sechstagekrieges im Auftrag der israelischen Botschaft eine militärische Hymne komponierte, „Le Sable Et Le Soldat“. Darin bekundete er, auf dem Höhepunkt der Israelfeindschaft in Frankreich, seine Solidarität mit dem jüdischen Staat. Die Hymne wurde nie verwendet und blieb in Europa unbekannt – wie sein 1981 geschriebenes Lied „Juif Et Dieu“, in dem er die Namen jüdischer Kommunisten aufzählt und Jesus als „Nichtarier“ preist. So konnte man ihm zehn Jahre später, nach der Reggae-„Marseillaise“, vorwerfen, ein Feind der Republik zu sein, obwohl er auch für dieses Stück in Anspruch nahm, dass es eine „Hymne“ sei – auf ein Frankreich freilich, in dem Juden nicht als Verräter gelten.

Auch hatte sein Reggae nie etwas mit der homophoben Folklore zu tun, die oft unter diesem Label firmiert. Aber davon wollten seine Fans nichts wissen, die in ihm nur den Hedonisten sahen, ohne eine Ahnung von der Erfahrung zu haben, auf die sein exzessives Leben eine Antwort war. magnus klaue

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