Ninjas im Westernsaloon

Mit Gauklern und Pferd zelebriert Kevin Barnes ein manisches Theater, das seine Depressionshymnen kongenial illustriert.

OF MONTREAL – New York, Roseland Ballroom Das Ponywackelt nur ein bisschen mit den Ohren. Stoisch steht es auf der Bühne und schaut, während ringsumher die Menschen ausrasten. Auf dem Schimmel sitzt Kevin Barnes, so gut wie nackt, nur in ein Goldlame-Höschen gezwängt.

Sanft streichelt er die Ponymähne und singt „St. Exquisite’s Confessions“: „I’m so sick of sucking the dick of this cruel cruel city/ I’ve forgotten what it takes to please a woman.“ Würde man ein paar Flügel hinzufügen und ein Goldhöschen abziehen, wären Barnes und sein Zossen eine perfekte Kopie eines Fotos, das den von Barnes hochverehrten Prince nackt auf einem Pegasus zeigt.

Ware die irre Meute vor der Bühne 20 Jahre älter, würde sie nun daran denken, wie Bianca Jagger seinerzeit auf einem Schimmel mitten ins Studio 54 ritt. Doch dieses „würde“ und „wäre“ sind auch schon die einzigen Konjunktive des Abends: Dieses Of Montreal-Konzert ist ein irrer Schnapstraum, eine Plemplem-Revue in Ringelhosen, eins dieser an einer Hand abzählbaren Konzerte, die man nie mehr vergisst und von denen man später mal seinen Hunden erzählen wird.

Wie Schlagzeuger und Gitarrist die Treppen des Jump’n‘ Run-Spiel-artigen Bühnenbilds nach Art verrückter Bergziegen auf und ab sausen, um zwischendurch immer mal wieder die Instrumente zu tauschen! Wie urplötzlich Ninjas einen Westernsaloon stürmen und dort mit Tigern in Businessanzügen rangeln! Wie Kevin Barnes mit Rollerskates, groß wie Kleinwagen, auf die Bühne fährt, sich als Kardinal verkleidet von einer anzüglichen Nonne umschlängeln lässt, von einer gemeinen Giraffe bedroht ¿wird, sich am ganzen Körper rot anmalen lässt, plötzlich von einem Nudistenpärchen belästigt wird, sich in einer gruslig realistischen Szene an einem kleinen Galgen erhängt und schließlich von einer Schar goldener Buddhas und silberner John McCains aus einem offenen Sarg heraus wieder zum Leben erweckt wird — von Kopf bis Fuß mit Rasierschaum beschmiert, als sei es ein duftiges Flaumgewand.

Die Leinwände im Hintergrund zeigen derweil unablässig durchgedrehte Zeichentrickfilme, falls jemandem fad werden sollte.

So viel gibt es zu gucken, dass man darüber fast das Hören vergisst. Zu den manisch überdrehten Kostümscharaden, die sich als angerissene Szenen aneinanderreihen, passen die Lieder des aktuellen Albums „Skeletal Lamping“ ganz vorzüglich – sind auch sie doch eher Liedbröckchen, die sich zu einem einzigen großen schillernden Etwas fügen, episch und rätselhaft, mit 100 Hooks per minute.

Glockenklang, Motown-Getrommel, Pluckerbass, Falsettgesang, Trompetengetröt, ein Hut, ein Stock, ein Regenschirm. Live ist das heute Abend alles kein Stück weniger komplex und popoperesker als auf der Platte — und paradoxerweise sogar noch berührender. Trotz Optik-Overkill, Pferdchen und generellem Wahnsinn wirken Barnes‘ persönliche Texte über die eigenen Depressionen und Gefühle der Unsicherheit durch all das manische Drumherum noch stärker.

Nachgerade hysterisch wird das unfassbar junge Publikum bei den lustigen Depressionshymnen von „Hissine Fauna, Are You The Destroyer?“, dem Erfolgsalbum von 2007. „I spent the winter on the verge of a total breakdown while living in Norway“ plärren die monströs bebrillten, als Robin Hood oder Ali Baba verkleideten, bizarr behosten Jugendlichen die erste Zeile von „A Sentence Of Sorts In Kongsvinger“ mit und jubilieren bei „Heimdalsgate Like a Promethean Curse“: „Chemicals, don’t mess me up this time.“

Man fühlt sich wie auf einer invertierten Promnight:

Hier gibt es nicht ein, zwei komische Käuze, die sich in den Ecken herumdrücken, während Cheerleader und Quarterback tanzen die Wunderlichen sind im Roseland Ballroom klar in der Überzahl.

Wie man dieses Konzert in der Zugabe noch toppen kann? Of Montreal spielen „Smells Like Teen Spirit“, ein todernstes, großartiges Cover, mit MGMTs Andrew VanWyngarden als Gast-Bassist, und das wunderliche Publikum springt und schreit, als schlüge es sogleich den ganzen erwürdigen Ballroom zu Klump.

Daheim glaubt einem das doch wieder keiner.

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