Noch eenmal mit Jefühl

eute ist es gar nicht mehr erklärbar, dass eine Serie über zehn Jahre lang lief, freilich mit langen Pausen dazwischen. Heute wird eine Staffel manchmal an einem Wochenende versendet, damals waren es wenigstens zwei Monate. Niemand wartete auf einen Stream, die Ausstrahlung im Pay-TV oder eine DVD. Serien waren keine Kunstform, sondern eine Form von Fernsehen. Sie wirkten beiläufig, alltäglich, ja realistisch -auch, wenn sie so gravierend und wahrhaftig waren wie „Die Unverbesserlichen“ zwischen 1965 und 1971, die schönste deutsche Serie überhaupt.

„Liebling Kreuzberg“ war eine klare Sache, als im Februar 1986 die erste Folge gezeigt wurde: Manfred Krug hatte schon den „Tatort“-Kommissar Stöver erfunden, einen griesgrämigen norddeutschen Stiesel – den gab es nun auch als Robert Liebling, Anwalt, Notar und Faultier in Kreuzberg. Liebling war sogar die bessere, die überzeugendere Gestalt, sie kam Krugs Hang zu Schisslaweng, Müßiggang und loser Klappe sehr nah – was auch an dem Umstand lag, dass sein Freund Jurek Becker die Drehbücher schrieb.

Die ersten drei Staffeln bildeten das West-Berlin jener Zeit ab; die Teilung der Stadt war niemals Thema. Kreuzberg war ein Stadtteil, in dem skurrile Dinge passierten, es gab auch Moabit und Gleisdreieck – aber im Grunde ist das alles erst in der Rückschau wichtig, wenn man darüber staunt, wie sich die Gewichte der Stadt verschoben, wie die Mitte zurückkam und die Probleme sich veränderten und die Geschichten. Am Anfang ist Manfred Krugs Liebling ein Bruder Leichtfuß, der einen Mann fürs Grobe sucht. Michael Kausch als Giselbert Arnold ist dieser Sozius, der alle anstrengenden Fälle für Liebling übernimmt, während der die leichten Angelegenheiten des Notars erledigt, sich Götterspeise servieren lässt, am Cognac nippt und seine diversen Liebschaften am Telefon koordiniert. Anwalt Arnold, den es von Stuttgart nach Berlin verschlagen hat, ist ein sehr trockener und sehr sturer Pedant, den die Arbeitsweise Lieblings belustigt und der im Unterschied zu ihm mit konventionellen juristischen Mitteln arbeitet – was auch heißt: mit Präzision. Liebling nimmt es nicht so genau. Seine pubertierende Tochter Sarah (Roswitha Schreiner) zieht ihm die Fünfziger aus der Tasche, die Geliebten müssen schon mal eine Nebenbuhlerin akzeptieren, und wenn Liebling ein Nickerchen hält, dann ist er nicht zu sprechen. Und die Schuhe zieht er gern aus, um auf Strümpfen zu gehen. Im Sekretariat sitzen zwei schrullige Damen: Paula (Corinna Genest) ist das gutmütige Faktotum, Senta (Anja Franke) die kecke junge Auszubildende mit „Walkman“.

Die vierte Staffel (1994) wurde von Ulrich Plenzdorf geschrieben, dessen Roman „Die neuen Leiden des jungen W.“ im Osten wie im Westen eines der berühmtesten Jugendbücher war, die fünfte (1997) wieder von Jurek Becker. Mittlerweile hatten sich die Stadt und das Land verändert, auch das Fernsehen. Das betuliche Tempo, das Liebling auf seinem Motorrad vorlegte, war bereits durch die neue deutsche Geschwindigkeit eines Cabrios ersetzt worden. Michael Kausch hatte einen schrecklichen Unfall und kam als Giselbert Arnold nicht zurück, dafür wurde Jenny Gröllmann in der vierten Staffel als Isolde Isenthal die Kanzleipartnerin Lieblings. Aus der Männerfreundschaft wurde eine Screwball Comedy der Geschlechter – bis zur fünften Staffel, in der Stefan Reck als Bruno Pelzer den sympathischen Sozialschnuffel gab. Der RBB zeigt jetzt endlich wieder die gesamte Serie: ein Museum deutscher Befindlichkeiten, Orte und Namen; eine Zeitmaschine wie „Wege übers Land“ und „Heimat“. Wer heute jung ist, der wird ein anderes Land sehen.

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