„Noches Como Estas“: So war’s mit den Toten Hosen in Argentinien

Am Freitag erschien die neue Live-DVD "Noches Como Estas: Die Toten Hosen Live in Buenos Aires". Der Berliner Radiomoderator und Journalist MC Lücke war für uns in Argentinien dabei und erinnert sich an (fast) alles.

Soeben ist die neue Live-DVD „Noches Como Estas: Die Toten Hosen Live in Buenos Aires“ erschienen. Eine gute Gelegenheit, um sich gemeinsam mit unserem Autoren MC Lücke an die Argentinien-Tour zu erinnern. MC bzw. Michael Christian Lücke ist den meisten wohl als RBB-Moderator von radioeins bekannt, wo er die Sendung „Rock’n’Roll Radio“ moderiert. Alle Infos dazu finden Sie hier. Das ebenso persönliche wie amüsante Tourtagebuch finden Sie unter dem Trailer. 

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Flughafen Buenos Aires, September 2012

Ich gehöre neben Marten Laciny aka Marteria aka Marsimoto, seinem persönlichen Manager Chris Berndt und dem Hamburger Fotografen Paul Ripke zur „Reisegruppe Rostock“. Das weiß ich, weil wir am Flughafen von einem freundlichen, argentinischen Fahrer mit einem gleichlautetenden Schild in der Hand empfangen werden.

Und das macht auch Sinn, da Marten und Chris ja Rostocker Jungs sind. Und sie sind in gewisser Weise auch „meine Jungs“, da beide für das sich mittlerweile im Ruhestand befindliche „Fritz-Soccer-Team“ in den Jahren 2006-2009 gespielt haben, das ich zwölf schöne Jahre lang als Coach angeführt habe, und das sich neben seiner spielerischen Klasse vor allem wegen seiner standhaften Feierfreudigkeit einen legendären Ruf auf den Berlin-Brandenburger Fußballplätzen erspielen, bzw. erfeiern konnte. „Kein Alkohol ist auch keine Lösung“ sangen einst die Toten Hosen, und dieses Motto gilt auch für die nächsten knapp zwei Wochen in Argentinien!

Feierbiest Marteria trifft auf Feierbiest Campino, und alle anderen ordnen sich knapp dahinter ein, aber warum? Wie kam es dazu, dass der Düsseldorfer Punker Campino und der Rostocker HipHopper Marteria seit dem letzten Hosen-Album „Ballast der Republik“ ein Herz und eine Seele sind?

Rückblick, ein Jahr zuvor, E-Werk Köln, September 2011

Die Red Hot Chili Peppers feiern die Premiere ihres neuen Albums „With You“ ausgerechnet mit einem Konzert in Köln, das weltweit in Hunderte von Kinosälen übertragen wird. Campino und ich sind unter den auserwählten Gästen, die diesem Spektakel beiwohnen dürfen. Wie so oft treffen wir zufällig aufeinander, gehen dann aber gezielt weiter. Wir kennen uns seit unserer Jugend, hatten mit der Punk/New Wave-Disco „Aratta“ (in Rheinberg, der Heimat von Claudia Schiffer, die aber leider nie da war…) in den späten 70ern/ frühen 80ern einen gemeinsamen Stammladen und sind über die Jahrzehnte immer locker befreundet geblieben.

Auf der Fahrt zur Hotelbar reden wir darüber, dass Campi sich einen Partner zum „Ping Pong spielen“ wünscht, wie er es ausdrückt. Es fehlen noch ein paar gute Songideen für das neue Hosen-Album, ein überaus wichtiges Album zum 30jährigen Jubiläum, klar. Der eigene Anspruch, und somit folgerichtig der Druck, sind enorm.

In einem Gespräch mit einer Freundin fällt der Name Marteria, Campino wird hellhörig, Patrick Orth von JKP hatte ihm unlängst das Marteria-Album „Zum Glück in die Zukunft“ in die Hand gedrückt, seine Drillinge waren längst allesamt Marteria-Fans. „Was hast du denn mit Marteria zu tun?“ fragt er mich, und ich sage: „Na, das ist ein Kumpel von mir, der hat für mich Fußball gespielt.“

Der Rest ist Rock’n’Roll-History: Campino schreibt mit Marten sechs gemeinsame Songs für „Ballast der Republik“ – so viele Songs hat er noch nie mit einem Partner für ein Album geschrieben, selbst mit Funny van Dannen nicht.

Der Erfolg muss gefeiert werden, und was läge da näher als ihn in Argentinien zu begießen, der zweiten Heimat der Hosen, wo sie ebenso geliebt werden wie in Deutschland. Vielleicht nicht von so vielen Fans wie daheim, aber auf jeden Fall genauso inbrünstig und bei den Konzerten eindeutig lautstärker als bei uns, aber das ist natürlich auch eine Mentalitätssache.

Beef de Lomo in Buenos Aires

Wir landen um 8 Uhr, um 10 sind wir im Hotel, um 11 steht Campi auf der Matte und bietet sich als unser Reiseführer für den ersten Tag an.  Er hat einen freien Tag, die Hosen haben schon drei Konzerte im Landesinneren erfolgreich hinter sich gebracht. Alle ausverkauft und umjubelt, wie auch die zwei Konzerte in Buenos Aires sowie das Konzert in Mare del Plate, die wir in den nächsten Tagen erleben sollen.

„Also“, sagt Campi, „ein schöner Tag beginnt in Buenos Aires traditionell mit einem anständigen Beef de Lomo. Auf geht’s! Um die Ecke kenne ich einen super Laden!“

Ja klar, denke ich mir, aber es ist erst 11 Uhr, und ich habe noch nicht mal gefrühstückt… Aber dann erinnere ich mich daran, dass wir es in Deutschland ja schon 16 Uhr haben. Und überhaupt: Für die nächsten 10 Tage bin ich  Teil der „Rock-Machinery“, das muss mir klar sein!

Das Fleisch ist großartig, und ich bin in diesem Moment besonders froh, dass ich meine fünfzehnjährige Fleischpause als Fischvegetarier bereits 2008 in Basel, nach dem EM-Halbfinal-Sieg gegen die Türkei und einer sich anschließenden schlaflosen Feiernacht, mit einem Steak beendet habe!

Campinos Freundin wird für morgen erwartet, sie IST Vegetarierin, und die, sagen wir es an dieser Stelle ruhig einmal, diebische Vorfreude der sich mittlerweile auf Betriebstemperatur befindlichen Runde über die „Aufgaben“, die Campis Liebste ab morgen bei Tisch zu bewältigen hat, steigert sich mit jedem Drink.

Den Rest des Tages laufen wir durch Buenos Aires, und ich bin überwältigt von dieser Stadt, der Atmosphäre, die mich vergleichsweise an den Süden Italiens erinnert, und der jetzt schon spürbaren, unglaublichen Herzlichkeit der Menschen.

„Steh auf, wenn Du am Boden bist!“

Dass das nicht immer und überall so ist, ist bekannt, und schon einen Abend später werde ich einen Hosen-Fan aus Düsseldorf schluchzend in meinen Armen halten, dem man beim ersten Buenos Aires-Gig der Hosen (ein kurzfristig bekannt gegebener Zusatzgig vor ca. 2000 Fans, der in vier Stunden ausverkauft war!) beim Pogen aber auch alles geklaut hat – Handy, Kamera, selbst die Uhr wurde vom Arm gerupft!

Aber gemerkt hat er es erst, als er sich nach dem Gig völlig durchnässt und noch halbwegs im Rausch vor der Halle des Verlustes gewahr wurde, und auf meine Frage, warum er die Sachen denn nicht im Hotel gelassen hätte, sagte: „Wollte ich ja, aber ich hatte noch keine Karte, und ich musste doch rein, ich habe ansonsten für alle Konzerte in Argentinien Karten, und auch für die kommende Deutschland-Tour, aber so gut wie hier sind die Hosen nirgendwo. Und als ich dann endlich doch noch eine Karte bekommen hatte, war es zu spät, um die Sachen ins Hotel zu bringen…“

Klar, denke ich mir, man muss Prioritäten setzen, und doch tut er mir unendlich leid. Aber zwei Tage später beim Konzert auf dem Land, bzw. am Meer, in Mare Del Plata, sehe ich ihn wieder im Mosh-Pit, trunken vor Freude, wieder klatschnass und mit einem fetten Grinsen im Gesicht. „Steh auf, wenn Du am Boden bist!“

Für meinen Teil bin ich erstmal froh, dass wir laufen, so viele Eindrücke sammeln können, mindestens zwei, oder gar drei Stadtteile durchkämmen, um schließlich in San Telmo zu landen, hier wo sich vielleicht der schönste, weil älteste und traditionellste Stadtteil von Buenos Aires befindet, mit all den tollen Tango-Bars. Auf einem Marktplatz wird mal wieder angestoßen, zum Ende des Tages dann doch wieder mit Bier, wie es sich gehört, und ich sehe einem Pärchen beim Tango zu.

Ich bin glücklich und erschöpft, der erste Tag war fett, Campino ein amtlicher Reiseführer, aber nach einigen Tagen bin ich über diesen ersten Tag noch glücklicher, weil ich in den kommenden Tagen nicht viel vom Tag und von der Stadt zu sehen bekomme.

Statt Tagen wie diesen regieren Nächte wie diese!

Schon der erste Gig im Teatro Buenos Aires zieht mir die Schuhe aus, besser gesagt: Mir steht  das Wasser in den Schuhen! Pogo in Argentinien, wie in der Heimat schon seit Jahren nicht mehr. Die Luft brennt, die Fans drehen komplett durch, mehr Pogo-Kreise, mehr Crowdsurfing geht einfach nicht, alle machen mit. Und es stimmt: So gut wie hier habe ich die Hosen schon lange nicht mehr gesehen – Campi, Andi, Breiti, Kuddel und Vom sind motiviert bis in die Haarspitzen, das Adrenalin pumpt ohne Ende.

Die Fans sind die halbe Show, singen schon vor dem Gig unablässig einen Song, den sie den Hosen widmen: „Ole Ole cada dia te quiero mas, Ooooh Toten Hosen, es un sentimiento no puedo paraaar“. Was ungefähr so viel heißt wie: „Ich liebe euch mit jedem Tag mehr, das ist ein Gefühl, das nie vergeht!“

Aber nicht nur das: Da steht man also als Deutscher bei einem Konzert einer deutschen Band in Buenos Aires, und das argentinische Publikum singt die Texte auf Deutsch mit, und nicht nur den Refrain, viele sogar ganze Songs – unfassbar!

Die Hosen, die auf dieser Tour den Rekord der Ramones brechen (nunmehr sind sie die ausländische Band mit den meisten Gigs in Argentinien), erwidern diese Liebe. Extra für die Tour haben sie sich „Tage wie diese“ von der befreundeten Punk-Band La Vela Puerca aus Uruguay übersetzen lassen, „Dias Como Estos“!

Campino wechselt bei seinen Ansagen zwischen Englisch, Deutsch und Spanisch munter hin und her, aber wenn es eng wird, muss Breiti ran. Der hat die letzten Jahre im Tourbus gebüffelt, spricht perfekt Spanisch und hat die Lacher auf seiner Seite. Eine für „Lautsprecher“ Campino ungewohnte Rolle, er steht daneben und kommentiert Breitis Ansagen: „Na, was hat er euch denn über sein kommendes Solo-Album verraten…?!“

Die Hitzeschlacht im Teatro Buenos Aires dauert über zwei Stunden, im Backstage ist es ebenso eng und heiß, vor dem Teatro warten die Fans. Wie überall. Auf der Straße, im Café, vor Radiostationen, wenn die Hosen Interwies geben und vor allem vor unserem Hotel. Stundenlang, bis tief in die Nacht. Sie haben CDs dabei, wollen ein Erinnerungsfoto. Die Band macht alles mit, erfüllt auch den letzten Wunsch. Brenda, eine Rechtsanwältin aus Buenos Aires, zeigt Campino ihr Tattoo – „Du lebst nur einmal“ auf Spanisch, an der Stelle, wo andere Frauen ihr Arschgeweih haben.

On am Off-Day

Am darauf folgenden Off-Day geht der Punk weiter. Die befreundeten La Vela Puerca spielen, die Hosen sind vor Ort, um sich persönlich für die Übersetzung ihres bislang größten Hits zu bedanken. Und wieder klirren die Gläser!

Mecklenburg del Plata

Die Fahrt nach Mar del Plata steht für den nächsten Tag auf dem Programm. Schön, mal was vom Land zu sehen, denke ich mir, und dann sieht es aus wie in Mecklenburg-Vorpommern, sieben Stunden hin, sieben Stunden zurück. Bei den Rostocker Jungs kommen heimatliche Gefühle hoch, Marteria nutzt die Zeit, schreibt Songs fürs neue Album.

Das Konzert im „Gap“ entschädigt für die öde Fahrt. Die Hosen haben ihr Programm umgestellt, spielen viele alte Gassenhauer wie aus einem Guss. Fühlt sich an wie früher! Der Flow stimmt, die Bandchemie ist top. Übermütig schnappt sich Campino den argentinischen Tourorganisator Mariano, der sich später als hüpfende Ente verspotten lassen muss, und springt mit ihm kopfüber ins Publikum. Der Abend endet mit einer Party im Hotelzimmer. Vom versucht sich erfolgreich als Kellner und achtet darauf, dass alle mit der nötigen Schwere ins Bett fallen.

Noches Como Estas

Schon der nächste Tag steht ganz im Zeichen des großen Gigs im Estadio Malvinas, der für eine DVD mitgeschnitten werden soll. Campino ist sauer, weil er statt Fleisch leichte Pasta essen muss. Der Gig vor knapp 10.000 Fans im ausverkauften Estadio verlangt schon am Vortag absolute Professionalität.

Marteria und sein Busenfreund Paul von der „Reisegruppe Rostock“ hingegen steigern auf 600 Gramm, schaffen beim Abschlussabend leicht und locker jeder ein 800 Gramm-Steak, nachdem mittags nur ein kleines Beef de Lomo-Sandwich zu sich genommen wurde.

Da ist Campi natürlich längst wieder dabei, überglücklich über den Gig im Estadio, bei dem den Toten Hosen auch noch der goldene Schlüssel als „Offizielle Ehrengäste der Stadt Buenos Aires“ auf der Bühne überreicht wurde. „Darauf sind die Düsseldorfer noch nicht gekommen“, kommentiert Campino die überraschende Ehrung und fügt spaßeshalber hinzu: „Dort hassen sie uns ja!“ Was natürlich nicht stimmt und mittlerweile auch mit der Ehrenmitgliedschaft bei Fortuna dokumentiert wurde (deren Verleihung dann allerdings ein 0:5 gegen den heiß und innig geliebten Rekordmeister folgte).

Im Estadio Malvinas zu Buenos Aires wehen die Fahnen von Fortuna und der DEG. 300 Fans aus Deutschland sind den Hosen auf ihrer diesjährigen Tour nach Argentinien gefolgt. An diesem Abend bekommen sie das volle Programm – nicht nur das der Toten Hosen, sondern auch das ihrer Gäste: Attaque 77, argentinische Punk-Urgesteine, sind ebenso mit von der Partie wie C.J. Ramone, Ramones-Bassist von 1989-1996, und seine Band. Beide bestreiten das Vorprogramm und stehen für jeweils einen Song mit den Toten Hosen auf der Bühne.

Abgefeiert wurde aber neben den Hosen besonders Pil Chalar, Sänger der ersten argentinischen Punkband Los Violadores, deren Konzerte während der Diktatur in den frühen 80ern in der Regel abgebrochen, und deren Mitglieder mehrfach verhaftet wurden. Gemeinsam mit den Toten Hosen singt Pil Chalar die argentinischen Punk-Klassiker „Uno, Dos Ultraviolento“ und „Represion“, die bei den Fans Begeisterungsstürme auslösen.

Die anschließende Tour-Abschlussparty im Roxy, auf der Campino dann auch noch zwei Songs mit einer Ramones-Coverband zum besten gibt (woher nimmt der Mann nur seine unglaubliche Energie?!?), endete um 7 Uhr morgens mit einer spektakulären Aktion: Weil es absolut kein Taxi gibt, legt sich Campino, gemeinsam mit Vom (der nicht bei jeder Party dabei war, aber wenn dann richtig!), einfach mal auf die Straße, um auf diese Weise ein Auto anzuhalten! In Buenos Aires?!

Auf meine Frage, ob er sie noch alle hätte, meint der am frühen Mittag dann doch Erschöpfte nur: „Ach, halb so wild. Den Trick habe ich von meinem Kumpel Didi Hamann [Ex-DFB-Nationalspieler, der das letzte Tor im alten Wembley-Stadion erzielte] gelernt. Wenn ich mit dem in Liverpool unterwegs war, und wir kein Taxi bekommen haben, hat er sich einfach auf die Straße gelegt und dem Fahrer des erstbesten Autos ’nen Hunni angeboten, wenn er uns nach Hause fährt. Klappt fast immer!“

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