Nonstop Konsens

Ohne die Elektro-Song-Band Hot Chip ist heute keine Favoritenliste komplett - aber ist es wirklich schön, von allen geliebt zu werden?

Eine Konsensband zu sein – das ist zugleich das Beste und Schlimmste, was man über eine Popgruppe sagen kann. Das Gute daran: Die Musiker scheinen mit ihrem Sound einen Nerv zu treffen, und dieses Kunststück gelingt nicht oft. Das Schlechte: Gerade dadurch kommen sie in Verdacht, es einfach nur allen recht machen zu wollen.

Wie zuletzt LCD Soundsystem, MGMT, Phoenix – und die Londoner von Hot Chip: Wunderknaben mit großen Brillen und blassem Teint, die Italo-Disco und Industrial, Post-Punk und Soul, House und Avantgarde zueinanderführen, die klug sind und versponnen, aber auch ab und zu mal die Sau rauslassen. Vom Elektroniktüftler bis zum vergnügungssüchtigen Clubgänger und Indierocker können sich alle auf sie einigen.

Sänger und Songwriter Alexis Taylor liefert auch gleich selbst die Feinanalyse dazu: „Unsere Songs haben immer zwei Ebenen. Die eine ist so offensichtlich, dass sie das Publikum praktisch dazu zwingt, genauer hinzuhören – um zu erfahren, wo sich die zweite verbirgt.“

Oder auch nicht. „I Feel Better“ zum Beispiel, ein Eurodance-Stampfer vom neuen, vierten Album „One Life Stand“, kommt beim ersten Hören derart platt daher, dass man sich wundert, ob er jemals die Großraumdisco verlassen wird. „Ich schäme mich nicht dafür, kommerziell zu sein“, gibt Taylor zu, verweist aber gleich auf den geradezu apokalyptischen Songtext, der in diesem Fall die Antipode zum hitverdächtigen Sound bietet. „In ‚I Feel Better‘ geht es beispielsweise darum, den Zustand zu akzeptieren, dass zwar alles Nichts ist, aber dieses Nichts immerhin uns gehört.“ Eine grandiose Offenbarung – und das mitten in der Nacht auf dem Dancefloor.

In solchen magischen Momenten dürfte sich das überwältigende Einvernehmen gründen, mit dem Hot Chip seit ihrem 2004er Albumdebüt „Coming On Strong“ von der Pop-Öffentlichkeit aufgenommen werden. Für die nachfolgenden Alben „The Warning“, mit dem sie beim Majorlabel EMI Einstand feierten, und „Made In The Dark“ gab es entsprechend viele „Album des Jahres“-Erwähnungen, Titelgeschichten und ausverkaufte Konzerthallen. „One Life Stand“ wurde im Netz schon vor Veröffentlichung zum Meisterwerk erklärt.

Bis zum Backlash dürften Hot Chip noch etwas Zeit haben, und dass ihre Musik sich am Ende eher aus gut gefüllten Archiven und weniger aus genialen Innovationen speist, wissen die fünf zwanghaften Plattensammler, Musikkenner und DJs ganz genau.“.Unser wichtigster Anspruch als Band ist es, nicht total anders und brandneu zu klingen. Künstler, die das von sich behaupten, wirken auf mich immer etwas naiv“, meint Taylor.

Dabei herrscht auf „One Life Stand“ durchaus kein wild wütender Eklektizismus: Alle Einflüsse – von altem Soul über 8Oer-Disco bis zu Liedkunst a la Van Dyke Parks – klingen wie sorgfältig verdaut. Einen unverwechselbaren Charakter haben sich Hot Chip durchaus erarbeitet, seit sie im Jahr 2000 damit begannen, in Jugendzimmern in London-Putney gemeinsam Gedichte zur Akustikgitarre zu singen und mit Drumcomputern und Synthies zu experimentieren.

Und dennoch wohnt dieser Band eine unbestimmte Tragik inne: Man hat oft den Eindruck, sie würde immer noch rastlos nach dem perfekten Sound forschen – als wäre den Musikern das Lob und die eigene hohe Kunst des Verbindens und Ersetzens selbst nicht ganz geheuer. Man sollte hoffen, dass Hot Chip auf ihrer immerwährenden Suche nicht irgendwann an ihren unbegrenzten Möglichkeiten verzweifeln. Auch das ist der Fluch der Konsensband.

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