Orbisonic Youth
Mit Coverversionen von Harry Nilsson und der Melodramatik von Roy Orbison spielten sich die fantastischen The Walkmen aus ihrer Schaffenskrise.
„Man kam am Montagmorgen in den Proberaum, nahm die immergleiche Gitarre in die Hand, stellte den immergleichen Verstärker an, und um einen herum standen die immergleichen Typen.“ Hamilton Leithauser, ein schlaksiger Anfangdreißiger mit unschuldigem Jungsgesicht, schüttelt den Kopf und nimmt einen Schluck aus seiner Bierflasche. Wir sitzen in der Bar des „Gebäude 9“ in Köln, wo seine Band The Walkmen zwei Stunden später ihr erstes Deutschland-Konzert in sechs Jahren spielen wird. „Manchmal war es echt die Hölle“, erzählt Leithauser weiter. „Und man fragte sich verzweifelt: Was können wir anders machen?“
Die Walkmen, seit ihrem Debüt „Everyone Who Pretended To Like Me Is Gone“ von 2002 als eine der eigenwilligsten neueren amerikanischen Gitarrenbands bekannt, haben eine schwere Zeit hinter sich. Bei den Aufnahmen zu ihrem dritten Album „A Hundred Miles Off“ von 2006 steckte die Band in einer Schaffenskrise. „Das ständige Touren und Aufnehmen hat uns vollkommen ausgezehrt“, berichtet Leithauser. „Wir haben alles nur noch stumpf runtergespielt. Ohne Spaß, Hauptsache laut.“
Dann wurde der Band auch noch der Mietvertrag für ihr Studio in Harlem gekündigt. Zum Abschied nahmen sie dort innerhalb weniger Tage ein weiteres Album auf. Aber eines, das es schon gab. Harry Nilssons „Pussy Cats“. „Das hat viel mehr Spaß gemacht als vorher die Arbeit an unseren eigenen Sachen“, meint Leithauser. „Wir haben uns wirklich frei gespielt. Da haben wir uns geschworen, dass unsere nächste Platte auch in so einem Geist entstehen muss: leichter, durchlässiger, variabler.“
Der Spaß war kurzzeitig zurückgekehrt, doch es folgten noch zwei Jahre harter Arbeit, bis „You & Me“ die nächste Platte mit eigenen Songs, schließlich fertig war. „Wir sind schon 2006 in drei oder vier Studios gewesen, um aufzunehmen“, berichtet Leithauser. „Unser Manager musste alles bezahlen, weil wir kein Label mehr hatten. Am Ende hatten wir zwölf Stücke, aber niemand hatte das Gefühl, wir hätten da ein neues Album zusammen.“
Gitarrist Paul Maroon und Schlagzeuger Matt Barrick waren aus New York mittlerweile nach Philadelphia gezogen, so dass die Bandmitglieder für Proben immer abwechselnd eine zweistündige Busreise auf sich nehmen mussten.
„Vor ein paar Jahren hätten wir uns das gar nicht leisten können“, meint Leithauser. „Mit dem Greyhound-Bus hätte das pro Fahrt 40 Dollar gekostet. Aber dann hat eine Firma die alten Busse aufgekauft und ein eigenes Netz eingerichtet. Dann noch eine – und dann ist ein großer Preiskampf entbrannt. Mittlerweile kommt man für höchstens sieben Dollar an der Ostküste eigentlich überall hin – Boston, Philadelphia, Washington, New York. Die Busse sind natürlich arg ramponiert und bleiben oft liegen, im Winter ist es kalt und es sitzen höchstens zehn Leute drin. Aber man kommt zumindest an – irgendwann.“
Ein Jahr pendelten die Bandmitglieder zwischen New York und Philadelphia, probten ohne Erfolg vor sich hin. Meist dieselben drei Stücke. „Aber wir kriegten sie einfach nicht zusammen“, meint Leithauser. Paul Maroon, so eine Art musikalischer Leiter der Walkmen, suchte nach Auswegen aus der Misere, lernte Bratsche und Trompete, um den Sound zu bereichern. Walter Martin und Peter Bauer hatten schon bei den Aufnahmen zu „A Hundred Miles Off“ ihre Instrumente gewechselt, um alte Routinen auszuhebeln. Bauer setzte sich ans Klavier, Martin spielte den Bass.
„Das hat zunächst aber nicht viel gebracht“, meint Leithauser. „Wir mussten erst die richtigen Stücke für sie finden.“ Das erste fand Leithauser, als er sich Demos anhörte, die Maroon und Barrick in Philadelphia zusammen aufgenommen hatten: einen schunkelnden Walzer mit trägem Beat und schlaftrunkenen Bläsern. „Mir fielen gleich eine Gesangsmelodie und ein Text dazu ein“, erzählt er. „Red Moon“ heißt der fertige Song, in dem Leithauser den Romantiker gibt, vom Mond, den Sternen und dem Ozean singt. „Das war der Durchbruch. Damit war klar, in welche Richtung es gehen soll. Keinen tighten Rock mehr, den wir eigentlich eh nicht so gern spielen.“
Am nächsten Probetag überarbeiteten sie ein schnelles, lautes Stück namens „I Lost You“, verlangsamten es, gaben ihm mehr Dramatik. „Roy Orbison war da unser Vorbild“, erklärt Leithauser. „Seine Songs fingen auch immer ganz leise, ganz weit unten an und bauen sich dann langsam auf, bis zum großen theatralischen Finale. Das war genau das, was wir haben wollten: Intensität, ohne zu knüppeln.“
Die erreichen die Walkmen auch live. Es ist faszinierend ihnen zuzuschauen. Auf den ersten Blick eine ganz normale Rockband. Fünf Typen in Chucks, Jeans, Lederjacken. Mit Gitarren, Bass, Schlagzeug, Klavier. Aber was die dann spielen, läuft erstmal quer zu den Erwartungen. Die Rhythmusgruppe tupft stellenweise fast impressionistisch kleine Akzente, der launische Matt Barrick spielt sein Schlagzeug mit einer Hand, in der anderen schüttelt er gemütlich eine Rassel, Paul Maroons Gitarre britzelt, sprüht Funken, Peter Bauer schlägt drei, vier Akkorde am verstimmten Klavier an, wechselt für eine mächtige, wie aus dem Nichts gegriffene Melodie an die Orgel, und Hamilton Leithauser krakeelt darüber wie ein liebeskranker Waschbär. Manche Stücke drohen auseinanderzubrechen, andere fügen sich nach mehreren Minuten überhaupt erst langsam zusammen.
Der schönste Song an diesem Abend ist „Long Time Ahead Of Us“, eine wundervoll mondsüchtig tänzelnde Ballade vom neuen Album. „Auch das war mal ein lautes Rockstück“, hat Leithauser vor dem Konzert erzählt. „Es klang so sehr nach Bruce Springsteen, dass es schon fast lächerlich war. Davon ist nichts mehr übrig geblieben. Wir spielen den Song bei jedem Konzert. Ganz leise. Und dann können wir hören, wie die Leute im Publikum sich unterhalten.“ Wenn sie nicht – wie an diesem Abend in Köln – ergriffen lauschen.
Maik Brüggemeyer