Persönlichkeit? Mitnichten!

In den Jahren nach dem Weltkrieg, als sich BRD und DDR gerade erst als zwei getrennte Staaten konstituierten, wurde in den Westsektoren der Schriftsteller Thomas Mann als künftiger, erster Bundespräsident ins Spiel gebracht. Die junge DDR bot etwas später ihr erstes Staatspräsidentenamt dem Bruder Heinrich Mann an.

Aus beidem wurde nichts. Thomas Mann lehnte das Ansinnen einigermaßen erschrocken und mit Verweis auf seine mangelnde Befähigung als Politiker ab – was ich sehr gut verstehen kann. Heinrich Mann nahm die Offerte der DDR-Führung zwar an, starb aber kurz vor seiner geplanten Rückkehr aus dem US-amerikanischen Exil. Die Jobs gingen dann an Wilhelm Pieck im Osten und Theodor Heuss im Westen, und die große Chance, das Präsidentenamt zu einer wirklich sinn- und bedeutungsvollen Institution zu machen, war damit doppelt vergeben.

Ich kann nicht umhin, sehnsuchtsvoll zu räsonieren, wie das wohl die deutsche Nachkriegsgeschichte beeinflusst hätte: Thomas Mann und Heinrich Mann als Oberhäupter der beiden deutschen Staaten! Ob der Kalte Krieg in dieser Konstellation nicht um einiges wärmer ausgefallen wäre? Zweifellos hätten diese Literaten-Brüder gestützt auf die Autorität ihrer Persönlichkeit und ihrer bewegten und aufrichtigen Leben, Erhebliches bewirken können, durch die Kraft ihrer Worte von weltliterarischem Rang.

Ich schicke das voraus, weil mir ein gänzlich anderer Typ Bundespräsident vorschwebt als das, was man so kennt und regelmäßig angeboten bekommt. Kein ehemaliger Weltbanker wie Horst Köhler, kein ehemaliger Bundesrichter wie Roman Herzog und kein ehemaliger CDU-Ministerpräsident wie Christian Wulff, sondern jemand, der oder die nicht im politisch-bürokratischen Establishment steht, sondern mitten im Leben und mitten im Geist.

Was ich mir erwarte und wozu dieses Präsidentenamt wirklich wie geschaffen ist, das wäre eine große, überzeugende Persönlichkeit, ein Mensch von tiefer Weisheit und hoher emotionaler Intelligenz. Ein kritischer Wissenschaftler, ein Dichter, ein Philosoph! Gauck also? Der wäre so einer gewesen? Mit Verlaub, ich glaube es mitnichten.

Über Christian Wulff kann ich vor allem sagen, dass er im Gegensatz zu Amtskollegen wie Roland Koch oder Günther Oettinger vergleichsweise selten negativ aufgefallen ist. Davon, dass er eine nennenswerte intellektuelle Kapazität sei, habe ich nichts bemerkt. Das gilt aber in gleichem Maße für Joachim Gauck.

Wenn Gauck in den vergangenen Jahren eine bedeutende Rolle im Denken und Fühlen der Republik gespielt haben sollte, ist mir dies ausführlich entgangen. Auch seine aktuellen Äußerungen haben mich nicht in dem Maße vom Hocker gerissen, wie dies augenscheinlich bei anderen der Fall gewesen ist. Gaucks offensiv vorgetragene Befürwortung des Afghanistankrieges geht mir als Pazifist und Kriegsgegner radikal gegen den Strich. Zumal die ganze Bundespräsidentenkür ja erst notwendig geworden ist, nachdem Horst Köhler rein wirtschaftliche Interessen als Kriegsgrund bekannt und dafür öffentlich Prügel bezogen hatte.

Kommen wir zur Wahl, wie sie dann abgelaufen ist, so muss man das endgültige Versinken des ganzen hehren Vorgangs in die abgründigsten Niederungen der Parteitaktik konstatieren. Über die Art der Wulff-Nominierung durch Merkel wurde bereits viel Kritisches geschrieben. Aber auch die Gauck-Kandidatur war parteitaktisch präzise durchgerechnet. Dass Gauck für die Linke unwählbar sein und bleiben müsste – und zwar aus historischen wie aus aktuell-politischen Gründen -, das haben SPD und Grüne natürlich gewusst. Es war Teil ihres Kalküls. Jetzt über die fehlenden Stimmen der Linken zu jammern, ist ziemlich heuchlerisch.

Das Gleiche gilt für den „Mythos Erster Wahlgang“, wo man mithilfe der Linken angeblich Gauck hätte durchbringen können. Fakt ist, dass Schwarz-Gelb über eine absolute Mehrheit in der Bundesversammlung verfügt hat. Und die 30, 40 Koalitionsdeserteure des ersten und zweiten Wahlgangs haben Merkel ihre Denkzettel ja sehr kontrolliert verpasst. Hätte die Linke ihre Kandidatin Luc Jochimsen nicht aufgestellt, hätte es diese Denkzettel gar nicht gegeben.

Luc Jochimsen übrigens hat mir sehr gut gefallen. Eine mutige, kluge Frau, durchaus präsidial und mit klaren politischen Grundsätzen in Sachen Friedenspolitik und soziale Gerechtigkeit. Wenn also Heinrich und Thomas Mann schon hartnäckig ausfallen für das Amt …

Konstantin Wecker ist Musiker und Liedermacher und wurde von der Links-Partei als Wahlmann in der Bundesversammlung nominiert.

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