Pop-Mythologie

Easton Ellis schreibt die Fortsetzung seines Debüts. Außerdem: van der Heijdens Welttheater, Pynchon Kifferkrimi und Kerouacs Klassiker

Imperial Bedrooms

von Bret Easton Ellis

Wenn Clay nach Hause kommt, in sein Appartement in Los Angeles, das er von den Eltern des toten Jungen gekauft hatte, von dem er nachts albträumt, sind die Dinge nicht so, wie sie sein sollten. Mal fehlt eine Dose Diet Coke, mal findet er seinen Kühlschrank durchwühlt vor, mal ist der Computer wieder angeschaltet. Auf seinen Wegen durch die Stadt folgt ihm ein blauer Jeep oder ein BMW oder ein Mercedes und Clay erhält SMS von unterdrückten Nummern, Nachrichten wie „Ich beobachte dich“ oder „Verschwinde von hier“ .

Clay ist Mitte 40, Drehbuchschreiber, leicht paranoid (verständlich), ein Narzisst, alkohol- und drogenaffin, bisexuell, materialistisch. Er verbringt seine Zeit auf Partys, in Lounges und Bars, folgt wenig interessiert Gesprächen mit anderen Menschen, die sich auch nur wenig interessiert über andere Menschen unterhalten. Am Laufen halten ihn eine gut funktionierende Gerüchteküche über seine „Freunde“ (Personen, die er länger kennt) und eine gewisse Grundgeilheit, insbesondere auf junge Menschen. Es trifft sich, dass diese alle wahnsinnig gern Schauspieler werden möchten, und so beginnt das Spiel, das gespielt wird, seitdem Hollywood erschaffen wurde: Sex gegen das (vage) Versprechen einer Filmrolle.

„Imperial Bedrooms“ heißt Bret Easton Ellis‘ neues Werk; ein minimalistischer Roman noir, eine permanente Gewaltandrohung. Auf jeder einzelnen Seite ist die nächste Folter, eine neue Verstümmelung, das Abziehen eines Gesichts zu befürchten. Von Ellis ist bekannt, dass er weiß, was man so alles mit Werkzeugen anstellen kann, und so umblättert man die Seiten in einer Mischung aus Neugier, Widerwillen und Horror. Mehr braucht man eigentlich nicht zu wissen. Denn obwohl „Imperial Bedrooms“ der Fortsetzungsroman von „Unter Null“ ist, lässt er sich als eigenständiges Werk locker verstehen.

Der Erstling, den er vor 25 Jahren verfasste, war die kalifornische Antwort auf den DAF-Klassiker „Verschwende Deine Jugend“: „Was hast Du gemacht“, fragt der eine. „Nichts besonderes“, antwortet der andere. Es war keine schlechte Zeit: Man durfte überall rauchen, braun gebrannt zu sein bedeutete nicht automatisch, asozial zu sein, und Valium nahm man, um vom Koks runterzukommen. Das Buch machte Ellis zum Star, war es doch ein Erweckungserlebnis für eine ganze Generation literarisch Interessierter (wir sparen uns an dieser Stelle den Exkurs über Pop-Literatur). Ellis wusste, worüber er schrieb und weil das Leben genug Brutalitäten bereithält, brauchte er weder rührselige Charakterdeutungen noch barocken Sprachstil. Er war der Anti-Gabriel-García-Márquez, dessen „Liebe in Zeiten der Cholera“ im gleichen Jahr erschien.

Weil Ellis sehr schnell berühmt wurde, folgte auch die Verfilmung von „Unter Null“ sehr schnell. Sie ist eine der groteskesten Literaturverfilmung aller Zeiten. Aus einem dekadenten, ständig verdrogten, an Moral desinteressierten, bisexuellen Clay wurde im Film ein aufrechter Schulabgänger, der Drogen, L.A. und Schwule mied.

„Sie haben einen Film über uns gemacht“, lautet der erste Satz in „Imperial Bedrooms“, und alle Freunde von Clay gehen und schauen sich „Unter Null“ an: „Der Film unterschied sich insofern vom Buch, als sich eigentlich nichts vom Buch im Film wiederfand“, erzählt Clay. Während sie sich den Film anschauen, ergreift Julian Clays Hand. „Die haben mich sterben lassen“, flüstert Julian, im Film von Robert Downey Junior gespielt. Ellis hat in einem Interview mit „Vice“ erzählt, dass er sich „instinktiv“ dafür entschieden hatte, Julian in seinem jüngsten Buch sterben zu lassen, „seine Leiche wurde hinter einem verkommenen Wohnblock in Los Feliz abgeladen, nachdem man ihn andernorts zu Tode gefoltert hatte“. Ellis hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass Clay eine Version seiner selbst ist, eine düstere Version, eine Version, die einem ein wenig Sorge bereitet. Hatte Clay in „Unter Null“ seine beiden Schwestern, Erinnerungen an seine Kindheit, zumindest eine Idee, was richtig und was falsch sein könnte, ist er heute abgefuckter, einsamer, isolierter denn je. Er lässt einen lange, auch nachdem der letzte Satz gelesen ist, rätseln, ob man um ihn fürchten oder sich vor ihm fürchten soll, ein Mann, der zum Schluss des Buches sagt: „Ich habe nie jemanden gemocht und ich habe Angst vor allem.“ (Kiepenheuer & Witsch, 18,95 Euro) matthias wulff

Das Scherbengericht

von A. F .Th. van der Heijden

Der Stern im weiten Literaturuniversum, der den Namen A. F. Th. van der Heijden trägt, hat eine so große Masse, dass er den Lauf der Welt beeinflusst. In seinem epischen Romanzyklus „Die zahnlose Zeit“ ließ er Raum und Zeit auf den niederländischen Königinnentag zusammenschnurren. Im neuen Zyklus „Homo duplex“, den er 2003 mit „De Movo tapes“ (dt. „Die Movo-Tapes“, 2007) begann, schreibt er sich in die Geschichte ein.

Der Held dieser Werkgruppe ist der griechische Gott Apollo. Das 20. Jahrhundert war keine besonders gute Zeit für Götter, und so musste er kurz vor dem Bankrott seinen Namen an die US-Weltraumorganisation NASA verkaufen. Das Kleingedruckte im Kaufvertrag verbot ihm jegliche Nutzung des eigenen Namens. Und so muss der Gott der Weissagung und Künste allein durch seine Taten gegen das Vergessen kämpfen. Er schreibt Horoskope für ein Boulevardblatt und versucht sich als Regisseur eines großen Weltendramas. Doch dummerweise hören seine Schauspieler, die Menschen, nicht immer auf ihn.

Als er sich gerade unter dem Namen Spiros Agraphiotis in den Niederlanden aufhält, um als Vormund eines vierjährigen Ödipus-Widergängers den nächsten Akt seiner menschlichen Komödie zu planen, wird er von einem alten Projekt eingeholt: Ende der Sechziger hatte er in Kalifornien mit Hilfe des geisteskranken Ganoven Charles Manson einen Krieg zwischen Weißen und Schwarzen anzetteln wollen. Das war ordentlich schiefgelaufen, Mansons Family hatte in Hollywood zwei blutrünstige Mordorgien angezettelt und war dann für immer weggesperrt wurden. Doch nun, im Jahr 1977, steht der Ehemann eines der Manson- Opfer – der damals hoch schwangeren Sharon Tate – vor der Verurteilung für Vergewaltigung einer Minderjährigen. Es handelt sich natürlich um einen polnischstämmigen Regisseur, der unschwer als Roman Polanski zu identifizieren ist. Apollo sieht seine große Chance, die beiden Männer, deren Schicksal auf so tragische Art und Weise verwoben ist, hinter kalifornischen Gefängnismauern in einer dramatischen Szene zusammenzuführen. Und das gelingt ihm auch.

Auf knapp 1200 Seiten entfaltet van der Heijden diese Horrorgeschichte entlang überlieferter Fakten, griechischer und moderner Mythologie. So wie Polanski in seinen Filmen, deren Motive sich hier über die Seiten ziehen, hält er das Grauen lange Zeit wie eine Hinterlist verborgen. Dadurch wird die Stimmung umso bedrohlicher.

„Das Scherbengericht“ erschien übrigens in den Niederlanden bereits zwei Jahre bevor Polanskis Anklage wegen Vergewaltigung einer Minderjährigen aus dem Jahr 1977 durch seine Verhaftung am Flughafen Zürich wieder zum Medienthema wurde. Die Welt richtet sich also auch weiter nach den Romanen von Adrianus Franciscus Theodorus van der Heijden. (Suhrkamp, 39,90 Euro) Maik Brüggemeyer

Natürliche Mängel

von Thomas Pynchon

Doc Sportello, ein mit Joint, Afro-Frisur und großen Erinnerungslücken ausgestatteter Privatdetektiv, trauert in einem fiktiven Hippie-Viertel von Los Angeles den mählich versiegenden Freiheiten der 60-Jahre nach. Seine Ex-Freundin Shasta reißt ihn schließlich aus der himmlischen Lethargie und verstrickt ihn in einen zunehmend abstruser werdenden Fall. Bald wird sogar Sportello selbst des Mordes verdächtigt, während Shasta mitsamt ihrem neuen Liebhaber, einem windigen Immobilienhai, verschwunden ist. Thomas Pynchon hat mit „Natürliche Mängel“ nach dem lichtdurchfluteten Großroman „Gegen den Tag“ ein Genrestück geschrieben, das hinsichtlich der Verquickung von Paranoia, Komik und Spannung seinesgleichen sucht. Die Tradition des hartgesottenen Kriminalromans à la Chandler wird bei Pynchon von Haschischwölkchen umnebelt, während sein Protagonist auch noch nach dem vermeintlich verstorbenen Saxofonisten einer Surf-Combo fahndet. Pynchons zugänglichstes Werk seit „Vineland“ ist halluzinatives Manifest des kulturellen Undergrounds und sprachmächtiges Requiem zugleich, ein augenzwinkernder Flirt mit der amerikanischen Unterhaltungsliteratur, angefüllt mit Songs, aberwitzigen Kalauern und kalifornischer Kapitalismuskritik. (Rowohlt, 24,95 Euro) Alexander Müller

On The Road. Die Urfassung

von Jack Kerouac

Am 2. April 1951 begann Kerouac dreiwöchiger Schaffensrausch – auf Kaffee, nicht auf Benzedrin, wie die alte Legende es will -, in dem er sich seine Suche nach dem verlorenen Amerika von der Seele tippte. Auf einer einzigen gewaltigen Papierrolle aus aneinandergeklebten Blättern. Das Manuskript sollte selbst zur Landstraße werden, auf der die beiden Protagonisten Dean Moriarty und Sal Paradise rastlos entlanghetzen. Erfahrungshungrig, triebgesteuert, augenblicksversessen, voller Empathie für die Randständigen, denen sie begegnen. „On the Road“ wurde als Manifest der Beat-Generation gelesen, wenngleich es das eher atmosphärisch als begrifflich war, und hat so gut wie jeder Subkultur danach als Referenz gedient. Dieser sagenhaften Rezeptionsgeschichte geht allerdings eine jahrelange Verlagssuche voraus. Der unkonventionelle, spontane, jazzige Stil mit seiner das Profane ekstatisch feiernden Sprache war den meisten Lektoren der Zeit offenbar zu ungeschlacht. Zudem befürchtete man ein Verbot wegen Obszönität oder Verleumdungsklagen der dort nicht immer vorteilhaft porträtierten Zeitgenossen. Das Buch erschien folglich erst sechs Jahre später, von den Lektoren domestiziert, geglättet bis in die Syntax hinein. Allerdings hatte auch Kerouac gleich nach der dreiwöchigen Eruption mit dem erneuten „Abtippen und Überarbeiten“ begonnen. Das nun aus dem Nachlass gedruckte „Original Scroll“ wollte er somit selbst nicht publiziert sehen, aber als Klassiker der Weltliteratur hat man sein Mitspracherecht nun einmal verwirkt. Und so findet man hier bestätigt, was man sich hätte denken können. Die Urfassung ist roher, redundanter, zäher, aber auch provokativer. Nicht zuletzt die explizit homosexuellen Stellen hätten das Buch mit einiger Sicherheit auf den Index gebracht. (RowohlT, 24,95 Euro) Frank schäfer

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