Protest-Pop I: Wir sind Helden sind jetzt die Poster-Band der politisch bewegten, die für Ton Steine Scherben 20 Jahre zu jung sind

Nena trägt publikumswirksam ein „Wir sind Helden“-T-Shirt, Judith Holofernes von Wir sind Helden trägt ein selbstbedrucktes Bob-Dylan-Hemd, privat. Nena und Dylan muss man nicht erklären, Holofernes auch nicht mehr, denn sie war bei Harald Schmidt, hat für die „FAZ“ Sigmar Gabriel interviewt, und das „Neon“-Magazin wählte sie zum sechsundsechzigstwichtigen jungen deutschen Menschen. Die Band hatte einen Smash-Hit und fühlt sich gerade wie die „Klassensprecher der Nation“, was Judith Holofernes nur nebenbei sagt.

Das Dylan-Hemd: Es ist rosa, sie hat das Foto von der „The Times They Are A-Changin'“-LP draufkopiett und „His Bobness“ druntergeschrieben – es gibt zwei weitere in grün und blau, bei einem hat der Kopierer das Bild verzerrt, „die Conehead-Version“. Sie kann eine wundervolle, selbst auf Deutsch übersetzte Version von „I Want You“ singen, mit 14 brachte sie bei Auftritten in der Freiburger Fußgängerzone „Going Going Gone“ und „Masters Of War“. Und anders als Dylan freut Holofernes sich sehr, wenn man den Protestgehalt ihrer Musik anspricht. „Kaum einer traut sich mehr, überhaupt zu protestieren“, sagt sie, „weil alle Angst haben, dass es naiver Protest werden könnte. Die Leute denken: Wer A sagt, muss das ganze Alphabet sagen. Ein Rio Reiser, der sagt: „Der Krieg ist nicht tot, er schläft nur‘, ist mir da lieber.“

Der Hit: Wir sind Helden wurden vor anderthalb Jahren in Berlin eine feste Band, brachten auf Anraten ihres Verlages Wintrup ohne Label eine kleine CD heraus, die viele Radios spielten. Sie ließen (immer noch ohne Label und Logo) ein preiswertes Video zu „Guten Tag (Die Reklamation)“ anfertigen, das MTV (ohne Diskussion) in Rotation nahm. Seither hat die Band ein Label, und der Song mit der Synthesizerlinie ist fast Allgemeingut: „Meine Stimme gegen ein Mobiltelefon/ Meine Fäuste gegen eure Nagelpflegelotion/ Meine Zähne gegen die von Doktor Best und seinem Sohn/ Meine Seele gegen eure sanfte Epilation.“

Das ist freilich keine Reklamation, sondern eine Regierungserklärung: Die Kraft, uns gegen die Konsumgesellschaft zu stellen, die haben wir schon! Ein optimistisches Ja zum Kulturpessimismus, und so ging das nächste Helden-Lied: „Wir müssen nur wollen, wir müssen nur wollen!“ Man könnte es als Wunschdenken-Song für den ersehnten deutschen Aufschwung nehmen, allerdings fühlen sich ältere Hörer, die Ton Steine Scherben schon hinter sich haben, davon nicht so angesprochen. Die jüngeren umso mehr, die kennen sowas nicht. In Interviews für Jugendseiten sprechen die Wir sind Helden-Mitglieder (alle Mitte 20) unverklauselt über Shopping-Verweigerung und das Frauenbild in den Medien, politisch korrekt und unmissverständlich.

„Ich hatte nie ein Herz für Bands, die so arschenscool sind“, sagt Holofernes, die beim Singen so viel lauter ist als beim Sprechen und im Mundwinkel immer lächelt. „Ich mochte die, mit denen ich gerne rumgehangen wäre. Obwohl, Elvis Costello soll früher ja auch ein Arschloch gewesen sein.“ Die Klassensprecherin verpetzt keine Schulschwänzer und malt nicht nur Demo-Flyer: Für jeden Protestsong mit „Die Affen rasen durch den Wald“-Lyrik und XTC-/Pixies-Beat hat das Helden-Album „Die Reklamation“ ein Liebeslied wie das atemnehmend bittere „Die Zeit heilt alle Wunder“ oder einen Schlager wie „Aurelie“, über eine kleine Französin, die mit den schüchternen jungen Berlinern nicht klarkommt.

Schon ein bisschen wie Nena damals. Nena war Ruhrpott-Arbeiterklasse, Judith Holofernes sang als Kind in der Uni-Stadt Dylan-Songs. „Wenn das Leben zu irgendwas gut ist, dann dazu, dass man’s immer besser draufkriegt.“ Und wenn sie das sagt, wünscht man sich sehnlich den alten Glauben zurück: „Müssen nur wollen.“

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