
Van Morrison erinnert sich nun ganz allein
Über Van Morrison, seine neue Platte und einige Versuche, ein Interview mit dem großen Mann zu organisieren.

Vor einigen Monaten erhielt ich eine aufgeregte Nachricht: Van Morrison bringt eine neue Platte heraus! Das war insofern keine Überraschung, als der Mann – konservativ gerechnet – etwa 51 Platten gemacht hat, dazu Live Aufnahmen.
Aber nun, jubelte der Informant, wolle er sprechen! Das wiederum ist so selten wie der Halleysche Komet. Er kann sprechen, man hat es schon gehört, wenn auch selten auf einer Bühne, auf der er manchmal „Thank you!“ ruft, das aber irgendwie unfreundlich klingt.
Ich glaubte nicht an das avisierte Interview. Schon oft wurde ein Gespräch mit Morrison versprochen, jeweils von einer anderen Firma, bei der er gerade unter Vertrag war. Und er war bei vielen Firmen unter Vertrag. Einmal, bei einem Jazz-Festival in Hamburg, vielleicht 1996, freute ich mich auf eine „zwanglose Begegnung“ mit dem Meister nach dem Konzert in der Lobby eines Hotels, wo ich ihm wie absichtslos vorgestellt werden sollte. Er sei guter Laune.
Van Morrison verlässt wütend die Bühne
Van Morrison trat mit seinem kleinen Orchester in einem Zelt auf. Es war brechend voll. Er war nicht guter Laune. Ein Bläser verspielte sich, Morrison fuhr herum. Dann gefiel ihm der Einsatz eines Streichers nicht. Morrison raunzte ihn an. Noch nie hatte ich jemanden auf einer Bühne so wütend gesehen. Beim dritten Fehler wollte er den Musiker schlagen und rannte von der Bühne. Es war das Ende des Konzerts. Das Publikum musste gehen.
Die zwanglose Plauderei in der Lobby fand nicht statt, denn Morrison eilte wortlos zu den Aufzügen. Bei anderer Gelegenheit sollte ein Blatt mit Fragen an Morrison an seinen Publizisten geschickt werden. Vorgegeben war ein Schreiben, in dem mitgeteilt wurde, dass Mr. Morrison nicht über Privates, nicht über die Vergangenheit, nicht über Musiker und Songs sprechen wolle. Er sei interessiert an Fragen über Instrumente und Studios.
Instrumente und Studios sind zwei Sachen, über die ich gar nicht mit ihm sprechen wollte. Ich wollte über seinen Hut sprechen und die undeutliche Sprache des Herzens. Aber das Interview fand ohnehin nicht statt, denn er hatte es sich schon wieder anders überlegt.
Zwischendurch machte er einige seltsame Einlassungen zu Corona und ließ ein Konzert im Internet übertragen – vielleicht um den Menschen Trost zu geben, vielleicht weil er sich langweilte. Van Morrisons Musik kann Trost spenden wie kaum eine Musik der Welt. Sogar seine Skiffle-Platte, die vorletzte, ist ungeheuer ergreifend. Er kann Pub-Musik machen und Jazz-Frühschoppen, er kann die Soul-Meister ehren, er kann seine majestätischen Balladen spielen und die explosiven Songs der frühen Jahre, die Bruce Springsteen und zahllose andere Musiker inspirierten – er ist immer gut, wenn auch zuletzt nicht immer großartig.
Die Platte, die er nun herausgebracht hat, heißt „Remembering Now“. Und das tut er. Peter Handke hat in „Versuch über die Jukebox“ den schönsten Text über Van Morrison geschrieben – über das Lied „Coney Island“ von „Avalon Sunset“, eine Rhapsodie, ein Gebet.
Auf dem neuen Album heißt ein Song „Haven’t Lost My Sense Of Wonder“. „A Sense Of Wonder“ heißt ein Album von 1984. In den Achtzigern brachte Morrison in beinahe jedem Jahr eine neue fantastische Platte heraus.
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Der Mann, der das Interview in Aussicht gestellt hatte, schrieb immer verzagter: Noch habe das Management nicht geschrieben. Es sei nichts mehr zu hören aus Belfast. Der Termin nahe. Dann: Wir müssten es wohl aufgeben. Van Morrison erinnert sich nun ganz allein.
Aber ich sage mir: It’s too late to stop now!