Quentin Tarantino

Man sprach 1994 immer noch von der „Generation X“ und den sogenannten McJobs, die Autor Douglas Coupland in seinem gleichnamigen Buch beschrieben hatte. Quentin Tarantino war ein solcher Slacker und vermeintlicher Taugenichts. Von der High School geflogen, hatte er jahrelang im „Video Archives“ gejobbt – einer bei Cineasten beliebten kalifornischen Videothek – und dort mehr über den Film des 20. Jahrhunderts gelernt als andere auf der Hochschule.

Tarantino liebte am Kino insbesondere den Schund, und die Filme, die er bald zu drehen begann, waren geschickt kompilierte Hommagen und Veredelungen jener Trivialkultur. Der Regisseur reüssierte mit „Reservoir Dogs“, und weil sein erster Spielfilm gleichzeitig sein letzter war, den man nicht mit dem Rest der Welt teilen musste, ist er nach Meinung vieler bis heute sein bester. Tatsächlich deutete das Debüt bereits Tarantinos Paradedisziplin an – ausgefeilte, bis ins letzte durchkomponierte Dialoge.

Die ganze Meisterschaft des Regisseurs offenbarte sich erst mit „Pulp Fiction“. J.D. Salinger hatte ihn beeinflusst zu einem 500-seitigen Drehbuch – einer Anthologie über die Gesellschaft von Angebern“, wie er selbst einmal sagte -, das ihm zur Vorlage diente für einen mit Zitaten gespickten, virtuos und grell erzählten Episodenfilm im Stile eines Groschenhefts. Die coolste Rolle des vor überzeichneter Gewalt strotzenden Films hatte Tarantino ausgerechnet dem völlig abgemeldeten John Travolta gegeben – und plötzlich wollten alle Vincent Vega sein. Wie überhaupt die Dialoge und Szenen aus „Pulp Fiction“ popkulturelles Allgemeingut wurden: Die Referenz an „Saturday Night Fever“ im „Jack Rabbit Slims“, jene mit Wucht ins Herz der überdosierten Mia Wallace (Uma Thurman) gehauene Adrenalinspritze, die Hamburger-Diskussion (das metrische System!), die Golduhr im Hintern von Bruce Willis‘ Filmvater, Jules Winnfields (Samuel L. Jacksons) vermeintlicher Bibel-Monolog, von Tarantino geschickt aus verschiedenen alttestamentarischen Passagen kompiliert – wir zitierten diese Szenen, sie wurden ein Teil unseres Lebens. Wie die Musik des Films: Eine Freundin erzählte kürzlich, zu keiner Platte habe man in der niederbayerischen Provinz häufiger im Auto geknutscht als zum „Pulp Fiction“-Soundtrack, der zudem die Karrieren von Dick Dale, Dusty Springfield, AI Green und zahlreichen anderen reanimierte.

Im krassen Gegensatz zum archaischen Autodidakten Quentin Tarantino stand die Handschrift eines anderen Helden des Jahres 1994: Noch für Benetton wurde Michael Schumacher zum ersten Mal Formel-Eins-Weltmeister, und binnen kurzem waren wir ein Volk von Rennsport-Spezialisten. Ayrton Sennas Unfalltod im selben Jahr markierte indes einen Paradigmenwechsel: Immer sicherere Boliden und Strecken kamen dem bürokratischen Stil Schumachers entgegen, Konstrukteurs- und Team-

leistungen wurden bald wichtiger als Risikobereitschaft und fahrerisches Können. Der Typus des draufgängerischen Piloten, wie ihn John Frankenheimer in „Grand Prix“ porträtiert hatte, gehörte der Vergangenheit an. Risikofreude bewies hingegen die sonst eher konservative Academy: Nachdem sie – zu Recht, aber vorherzusehen – Steven Spielbergs Drama „Schindlers Liste“ mit sieben Oscars dekoriert hatte, wurde ein anderer Film für ebenso viele Auszeichnungen nominiert: „Pulp Fiction“. Quentin Tarantino hatte es allen gezeigt.

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