Rainald Grebe – Irrer Erfolg

Seine Bühnen kann sich Rainald Grebe aussuchen - und ist trotzdem nicht selig.

Zu seiner Geburtstags-Party kamen 14.000 Zuschauer. Sie wollten dabei sein, als Rainald Grebe im Juni in der Berliner Waldbühne seinen 40. feierte – mit Orchester, Kostümen und Hits, die „Dörte“, „Prenzlauer Berg“ und „Brandenburg“ heißen. An einem Novembertag steht Grebe in Cottbus vor der Stadthalle. Abends wird er hier mit seinem Orchester der Versöhnung auftreten. Tags zuvor war man in Zwickau, der nächste Auftritt folgt in Halle. Grebe findet seine Themen oft in Ostdeutschland, wo er auch das größte Publikum hat. Fürs Interview möchte er zum Staatstheater laufen. Vertrautes Gebiet: Vor seiner Solokarriere war der Kaberettist und Liedermacher jahrelang am Theaterhaus Jena tätig. Doch egal, ob er auf Theaterbrettern steht, in einer Stadthalle oder auf der Waldbühne: Letztendlich inszeniert er immer. Live wirken seine Stücke daher oft viel stärker als die Studioaufnahmen. Neben dem Theater gibt es noch einen weiteren Ort, der sein Werk entscheidend geprägt hat …

Herr Grebe, Ihren Zivildienst haben Sie in einer Psychiatrie in Bielefeld geleistet. Wie viel Wahnsinn steckt heute noch in Ihrer Arbeit?

In „Der Präsident“ gibt es die Zeile „Ich bin der goldene Reiter“. Und ich bin die ganze Zeit am Schreien. Von der Singhaltung her ist der Bundespräsident da eigentlich ein Verrückter: total verzweifelt, dass er nichts zu sagen hat – ist aber der erste Mann im Staat. Und das mischt sich an der Stelle mit Nervenklinik. Der kleine Dödel stellt sich vor: „Ich bin jetzt Präsident.“

Auf der Bühne reißen Sie auch oft die Augen weit auf und wiederholen Satzfetzen …

Das ist das Manisch-Depressive, diese Wechsel. Ich habe es oft erlebt, dass Leute in der Psychiatrie ganz intensiv mit dir reden; dann gehen sie bruchlos weg und sind wieder woanders. Das findet man durchaus wieder, zum Beispiel in dieser sprunghaften Aufmerksamkeit beim Zappen. Es interessiert mich, gesellschaftliche Phänomene mit ganz persönlichen Situationen zu verquicken. Die Zeit in der Psychiatrie hat also Ihren Blick verändert?

Ja, es gab damals große Probleme, weil ich mich ganz auf die Seite der Patienten gestellt habe. Ich war 19 und voll drauf! Ich habe das als Literatur gesehen. Als Theater. Als andere Weltanschauung: Diese Leute in ihren Psychosen sprechen die Wahrheit … Ich wollte das aufsaugen! Sie sind in einer kleinen Stadt in der Nähe von Köln aufgewachsen, sollen ein Musterschüler gewesen sein. Ihre Mutter war Englischlehrerin, der Vater Professor für Bibliografie, Buchkunde. War das Ihr erster Ausbruch aus einer behüteten Kindheit?

Für mich war das ein Abenteuer-Trip. Und dann war da der Wunsch, auch mal verrückt zu sein. Das hängt wohl wirklich mit einer Abstoßungsreaktion zusammen: Man kommt aus einer Welt, die man vielleicht als total langweilig und bieder empfindet, und sucht Infusionen von Extremen. Die habe ich später wahrscheinlich auch in der Kunst wiedergefunden. Wie sehr haben Sie sich damals für die Patienten engagiert?

Ich habe zum Beispiel eine Weihnachtsfeier organisiert, eine Varieté-Show. Es gab einen Arzt, der gerade auch anfing, der da mitgemacht hat. Er hat sich ein Kostüm angezogen und gesungen: „Willkommen, bienvenue …“ Die Pfleger haben alle gesagt: „Nein, da machen wir nicht mit, sonst sind wir ja keine Respektspersonen mehr.“ Das war eine grandiose Veranstaltung: Die einen haben Volkslieder gesungen, ein Dichter hat Lyrik und Jazz mit mir gemacht, eine andere war auf ’nem Haschisch-Trip hängengeblieben, die spielte Saxofon, und es gab eine Band. Da kamen die Patienten aus allen Stationen an, und ich habe moderiert – wo alle schon Angst hatten, dass einer durchtickt. Ist aber alles gut gelaufen. Klingt nach einer Initialzündung.

Ich war total froh, stolz! Ich habe danach ein Programm über diese Erfahrungen geschrieben, mit Texten und Musik, eine Art Kabarett, und das mit meiner Combo aus der Schulzeit auch vier oder fünf Mal aufgeführt. Anschließend waren Sie bei den Anfängen von Comedy in Deutschland dabei, haben Puppenspiel studiert, am Theater gespielt und inszeniert und schließlich Ihre alten Verbindungen zum Quatsch-Comedy-Club reaktiviert, um sich als Solo-Künstler schnell einen Namen zu machen. Inzwischen sind Sie ganz oben. Trotzdem scheinen Sie ruhe- und rastlos zu sein: 2011 haben Sie neben dem Auftritt in der Waldbühne noch weitere Konzerte mit Ihrem Orchester absolviert, eine Revue zum Berliner Wahlkampf aufgeführt und zwei Alben aufgenommen. Anfang 2012 starten Sie schon wieder mit einem neuen Solo-Programm.

Am Theater ist das Pensum viel höher. Jeder Schauspieler spielt pro Jahr in sechs oder acht Stücken gleichzeitig und probt weitere. Das ist normal! Gut, ich schreibe die Dinger auch noch, habe dafür aber im Jahr nur zwei oder drei Premieren. Im Vergleich zu den meisten Bands und Comedians ist das immer noch viel. Rein wirtschaftlich könnten Sie viel länger mit einem Programm …

Ich denke aber nur inhaltlich. Außerdem langweile ich mich schnell. Demnächst wird erst mal wieder alles kleiner. Größe allein macht nicht selig, sondern muss inhaltlich begründet werden. Möglicherweise finde ich im Jugendclub in Greifswald Anregungen oder eine Schönheit wieder, die ich in der Stadthalle Cottbus nicht finde. Meine ersten Lieder kamen damals alle aus einer verstörten Anonymität heraus. So abgedroschen es klingt: Als Mann des Volkes müssen Sie auf der Straße bleiben?

Das stimmt durchaus. Ein gewisses Bewusstsein nicht zu verlieren, hat viel zu tun mit jeder Zeile, die ich schreibe. Ich bin ja nicht DJ Bobo und trete in Las Vegas auf, sondern ich handle mit Sinn und Worten. Das Stück „Oben“ trifft sehr gut etwas, was mich derzeit bewegt. Ich muss mich nicht mehr darum kümmern, wo ich mein Abendessen herbekomme. Wenn ich jetzt sage: „Ach, ich möchte mal wieder in kleinen Clubs spielen“, dann ist das eine Ansage von oben. Derjenige, der sich freuen würde, mal vor hundert Leuten zu spielen, denkt sich: „Was für ein Arsch!“ Wie gehen Sie mit dieser seltsamen Situation um?

Ich denke darüber nach, dass berühmt oder reich sein vielleicht auch von Vorteil sein kann. Das eine sind autonome Rückzugsgedanken. Dann gibt es diese Gedanken an Macht und Einfluss: Man möchte noch mehr Kontakte und Beziehungen, damit man auch noch auf dem Grünen Hügel inszeniert, wie Schlingensief oder so. Dahinter steckt auch eine Punk-Haltung: Ich nehm mir das einfach! Und dann bin ich ja jetzt auch Arbeitgeber. In meinem Orchester spielen zum Beispiel auch alte Freunde mit.

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