Reeperbahn Festival 2025: Alles stimmt, die Quote auch
Zum 20. Jubiläum bot das Reeperbahn Festival 450 Acts, ausgewogene Diskussionen und eine beeindruckende Frauenqoute
Man braucht Kraft in den Beinen, Ausdauer und vor allem Neugier und intellektuelles Aufnahmevermögen. 450 Bands und Künstler, die vier Tage lang in Clubs, Kirchen, Bussen und anderen unorthodoxen Spielstätten auftreten – die meisten davon Newcomer – sind auch im 20. Jahr des Reeperbahn Festivals eine Herausforderung.
Der Musikauftrieb im Hamburger Stadtteil St. Pauli wird gerne „Entdecker-Festival“ genannt, weil man sich in langen Nächten tatsächlich so fühlt, als würde man in einem Dschungel der Möglichkeiten nach seltenen Orchideen suchen. Tagesüber ging es auch diesmal wieder eher ums Geschäft, ein Panel zum Stand der Dinge jagte das nächste.
„From Globalization To Isolation“ untersuchte die Auswirkungen des amerikanischen Kulturkampfs auf den europäischen Musikmarkt. Eine Kooperation mit re:publica bescherte den Besuchern Veranstaltungen wie „Deepfakes: Wer kontrolliert unseren digitalen Körper“. Dazu jede Menge Selbstdarstellung: Von der Popakademie Baden-Württemberg, bis zu den Showcases der einzelnen Länder, mal im Paket auf der XXL-Bühne am Spielbudenplatz, mal verteilt über die 70 verschiedenen Spielstätten.
Island erwartungsgemäß edgy
Island präsentierte seine Künstler:innen erwartungsgemäß edgy. Die Songwriterin Jófrídur Ákadóttir, die sich der Einfachheit halber JFDR nennt, sang ihre halbelektronischen Troll-Wiegenlieder im „Resonanzraum“, tief im Inneren des begrünten Feldstraßenbunkers. Normalerweise probt hier das Ensemble Resonanz, ein Orchester für zeitgenössische klassische Musik. Keine Venue des Festivals bot einen besseren Sound! Folk und die Besinnung auf musikalische und kulturelle Wurzeln war eins der dominanteren Themen auf dem diesjährigen Festival. Beim Volksmusik-Pop der Österreicherin Anna Buchegger, oder wenn der Hamburger HipHop-Produzent Farhot afghanische Gesänge mit den Jazz-Synkopen seines Ausnahme-Drummers Silvan Strauss mixt. Die wunderbare Yasmine Hamdan kombinierte melancholische Erinnerungen an ihre alte Heimat im Libanon mit animierend frischen Club-Beats.

56% FLINTA*-Künstler:innen
Natürlich gab es auch wieder „Überraschungsauftritte“ wohlbekannter Namen. Nina Chuba präsentierte ihr neues Album mit viel Feuerwerk und ausgelassenem Gehüpfe auf der kostenlos zugänglichen XXL-Bühne. Kraftklub absolvierten in wenigen Stunden sagenhafte 15 Mini-Auftritte. Und im 25 Club versuchte Gene Gallagher – der Sohn von Liam – mit seiner Band Villanelle auf die breiten Schultern Oasis-Familie zu kletten. Wird schon, möchte man ihm zurufen, hatte aber dann doch mehr Spaß bei der hochtalentierten Wienerin Sofie Royer im Knust.
Überhaupt: So viele Frauen hatte man selbst auf dem vom Keychange begeisterten Reeperbahn Festival noch nicht erlebt: Die Quote des diesjährigen Line-Ups betrug insgesamt 44 Prozent männliche und und 56% FLINTA*-Künstler:innen. Auch der Anchor-Award ging an eine Frau. Die Jury, zu der Laurie Anderson, Suzie Quatro und Max Giesinger gehörten, entschied sich diesmal für die verträumten, Jazz infizierten Songs der New Yorkerin Mei Semones. Keine schlechte Wahl! Den vom Verband der unabhängigen Musikunternehmer*innen Deutschlands, kurz VUT, verliehenen VIA Award gewannen diesmal Vandalisbin (beste Newcomerin), Masha Qrella (bester Act), Holly Herndon und Mat Dryhurst (für „The Call“ als bestes Experiment), Ebow für „FC Chaya“ (bestes Album) und Grand Hotel van Cleef als bestes Label.
Mich persönlich hat das Konzert der belgische Band Omar Dahl am meisten begeistert. Allein wie sie auf der Bühne standen: Links ein nordafrikanisch aussehender Saxofonist, rechts ein hochkonzentrierter Geiger und in der Mitte zwei spielfreudige Gitarristen, mit Faible für Surf-Music und Hang zum Posen. Zusammen mit den orientalischen Beats von der Festplatte entstanden gewaltige, zum Tanzen animierende Klanggemälde, die den Himmel über der Wüste ganz weit öffneten. Es sind solche Momente, die einen jedes aufs Neue in das Gewusel und Gedränge des Reeperbahn Festivals ziehen.