Ben Folds & Nick Hornby :: Lonely Avenue
Schöner Luxus: Opulente Sounds für rührende Kurzgeschichten
Wie hört man eine Platte, deren Texte ein Schriftsteller geschrieben hat? Doch wohl mit dem Textblatt auf dem Schoß. In den Liedern, die Nick Hornby für die gemeinsame Platte mit Freund Ben Folds geschrieben hat, erkennt man lauter Kurzgeschichten von sympathischen Menschen, die am Leben leiden, aber meistens nicht zu schlimm. In Hornbys Büchern gibt es immer einen Morgen, eine Möglichkeit – die Misanthropie und der kalte Pessimismus der modernen Apokalyptiker sind nicht sein Geschäft. Auch für „Lonely Avenue“ hat der erklärte Musik-Enthusiast fiktive und wirkliche Geschichten in Reimform gebracht, die ans Herz gehen und lustig sind, immer jedenfalls gut beobachtet.
Zum Beispiel die von dem jungen Mann, der die Tochter von Sarah Palin schwängerte. Oder die von einer Frau, die ein Silvesterfeuerwerk betrachten muss – durch die Fenster einer Intensivstation, auf der ihr Kind liegt. Oder die von einem Komponisten, dessen One-Hit-Wonder ständig an seine große Liebe erinnert. Wie gesagt: Man muss mitlesen, sonst rauscht einiges vorbei.
Folds wird diese Platte nach den Anstrengungen seines letzten regulären Albums (bei dem ihm ein professioneller Produzent arg zusetzte) als Spaziergang im Park empfunden haben. Da kommen die Texte, hier steht das Klavier – bereits für Folds‘ Platte mit William Shatner hat das gut funktioniert. Folds wendet seine sehr guten Standards an, übt sich noch mehr in 70s-Soft-Rock, addiert McCartney- Harmonien und analoge Synthies. Bei drei, vier sehr schönen Balladen schweben opulente Streicher von Paul Buckmaster unter Piano und Gesang. Schön! So eine Kollaboration ist ein wunderbarer Luxus. (WARNER) JÖRN SCHLÜTER
Richard Thompson ****¿
Dream Attic
Eine neue goldene Phase im Schaffen des Meisters
Im hermetischen Kosmos des Richard Thompson muss man die Nischen und Winkel, die Gauben und Dachböden kennen, um diese sowohl bodenständige wie hochartifzielle Kunst genießen zu können. Er gehört zu den wenigen Giganten ihres Faches, die immer noch besser werden, die verfeinern, erweitern, abwandeln, ergänzen. Niemand spielt so frei flottierend (und dabei uneitel) elektrische Gitarre, niemand schreibt bewegendere Texte, niemand singt inniger.Erst unter dem Kopfhörer oder in absoluter Stille wird man „Dream Attic“ begreifen können – es ist sogar unter den vielen meisterlichen Platten Thompsons eine außerordentliche.
Nur andächtig kann man vor diesem Werk stehen, auf dem Thompson den Pfaden des Mystischen und des Biblischen ebenso folgt wie denen der urwüchsigen Folklore, auf dem er schwärzesten Sarkasmus mit dem Summen der Erinnerung verbindet, die schrecklichsten Abgründe der Liebe mit der Klarsicht des Pessimisten. Dabei hat er sich selbst die Herausforderung gestellt, das Album im Konzert vor Publikum aufzunehmen – die akustischen Solo-Aufnahmen („Demos“ wird man sie nicht nennen wollen) liegen der Edition bei.
Die Band-Versionen haben einen Reichtum an Klang und Musikalität, der ohne Beispiel ist: Thompson bringt die Songs in sukkulenten Arrangements mit kräftigem Bass, stellenweise Saxofon, Flöten und Fiddle, brilliert in Folklore, Ballade, jazznahem Impromptu, mischt scharfe Satire („The Money Shuffle“, „Here Comes Geordie“) mit ergreifenden Liebesliedern („Stumble On“) und verliert sich in sogar für seine Verhältnisse wilden Gitarren-Ausbrüchen („Crimescene“, „If Love Whispers Your Name“) und der Freiheit der Improvisation („Sidney Wells“). Erhabener noch sind die akustischen Fassungen der Lieder – zwischen denen auch nicht geklatscht wird.