Boards Of Canada – Geogaddi: Eine gelehrte Übung in Sachen Chill-out-Musik – und Kitsch :: WARP/ZOMBA
Bevor ich jetzt einen Besinnungsaufsatz darüber schreibe, welche Urlaubserinnerungen die neue Platte der Boards Of Canada in mir wachruft (es wäre Bretagne 1993 gewesen), kurz das Wichtige: Dies sind zwei vom Kulturbetrieb frustrierte Frühdreißiger, die im schottischen Hochmoor ein Studio betreiben, sicher mit Ölofen-Heizung, und dort elektronische Ambient-Musik ohne Gesang produzieren. Vor knapp vier Jahren kam das erste Album „Music Hos The Right Tb Children“, das vor knapp zwei Jahren zum verspäteten Spektakel wurde, weil die Band Radiohead es bewarb – man hört die Inspiration auf „Treefingers“ und „Idioteque“ von der Platte „Kid A“.
„Geogaddi“ verteilt nun eine Stunde und sechs Minuten auf 23 Tracks (abwechselnd kurz und lang). Es ist keine Platte, mit der die Boards Of Canada Hörer gewinnen werden, die ihre Musik bisher langweilig und nichtssagend fanden. Genau die könnten fragen, warum „Geogaddi“ besser sein soll als andere Chill-out-Platten. Eine gute Frage.
Erstens: Chill-out-Platten sind dazu gedacht, immer wieder gehört zu werden, man darf also nicht beim ersten Durchlauf alles verstehen. Boards Of Canada bauen viele Stücke asymmetrisch auf, lassen sie in vier Minuten drei klangliche Metamorphosen durchlaufen. Im flimmerten TripHop „1969“ kommt der überraschend eingängige Vocoder-Refrain „1969 – in the sunshine“ erst eine Minute vor Schluss.
Zweitens: Chill-out-Musik darf nicht den naheliegenden Versuchungen verfallen, die alles scheinbar leichter machen. Das sind vor allem spanische Gitarren und romantische Melodien. Heißt Kitsch.
Drittens: Das schlimmste Übel ist der Chill-out-Sampler. Er fühlt sich an wie ein kuscheliger Kaminabend, bei dem alle fünf Minuten der Geschlechtspartner gewechselt werden muss. Die Platte der Boards Of Canada hat ein Profil, eine durchgängige Duftmarke. Nur deshalb kann man sie imitieren.
Ein weithin sichtbares Meisterwerk ist das Album nicht, dazu ist es zu wenig ambitioniert, dazu sind die Vorgaben von Aphex Twin und Orbital zu hoch. Wenn man die Sache bei harschem Tageslicht betrachtet. Doch, doch, kann man.