Bob Neuwirth – Look Up :: Watermelon Pool
Das Prinzip des trial anderror ist auch Songschmieden wohl vertraut, wobei der Quotient aus diesen beiden Mengen keineswegs korrelieren muß mit der Qualität ihrer Arbeit. John Prine schreibt viel und behält wenig, Guy Clark schreibt wenig und behält alles, Randy Newman probiert so lange am Piano, bis aus einem Shuffle ein Song wird, den er wieder verwirft, wenn die passenden Worte ausbleiben. Townes Van Zandt muß jede Zeile durchlebt und durchlitten haben, bevor er sie zu Papier bringt.
Bob Neuwirth ist mit der Muse im Bunde, die ihn küßt, wenn er ein Bild malt oder einen Song schreibt, aus dem Moment, aus der Situation heraus. Neuwirth braucht dazu kaum Zeit, keinen akuten Alpdruck, keine schwellende Zornesader, weder Blut, Schweiß, noch Tränen. Die hat auch er vergossen, in früheren Leben, und nicht zu knapp. Doch muß er, anders als Townes, diese Untiefen nicht stets aufs neue durchwandern. Neuwirth ist Freigeist, Kosmopolit, Künstler und, mehr als alles andere, Lebenskünstler.
Die Leichtigkeit, mit der Bob Neuwirth tiefe Gefühle bannt, sie in Versform gießt und mit so einfachen wie verschwenderischen Melodien ausstattet, hat etwas Schlafwandlerisches, Sicheres. Seine Song-Gebilde sind wunderbar homogen, natürlich fließend. Und so wie die Songs entstehen auch seine Platten: offen, organisch, spontan.
„Look Up“ ist das Resultat einer Weltreise, die Neuwirth binnen drei Monaten zu alten Freunden und Kollaborateuren führte, mit nichts weiter im Gepäck als seine Gitarre und einen DAT-Recorder. In den Garagen, Hütten, Küchen, Wohnzimmern und Studios jener Vertrauten entstanden die 16 Tracks dieses Albums, on the spot und ohne Overdubs. Es sind bloße Sound-Skizzen zu Song-Gemälden, low tech für hohe Kunst. Schon der Opener, „Blue Detour“ mit Charlie Sexton, läßt anklingen, was „Look Up “ zu einem so nachhaltigen Hörerlebnis macht, verwebt irritierende Weisheiten mit sanguinischen Folk-Harmonien., „I Don’t Think Of Her“ mit Mickey Raphaels Harmonika und diversen Saiteninstrumenten comtesy of Bernie Leadon ist Selbsthypnose, Selbstkasteiung, Selbstmitleid, alles aus erster Hand, wenn auch nicht unbedingt first take. Neuwirth ist kein Unmittelbarkeits-Fetischist und Perfektionist nur in der Vermittlung von Gedanken und Gefühlen.“Just Like You“ rezitiert Patti Smith zu Neuwirths minimalem Picking und zu unserer maximalen Gänsehaut, wieder und wieder. Addictive stuff.
Anderswo werden wir der nicht unerheblichen Talente von Sandy Bull und Cindy Bullens teilhaftig, von Rosie Flores und Billy Swan, von Butch Hancock, Victoria Williams, Chuck Prophet. Und, natürlich, von Steven Soles und David Mansfield, ohne die Neuwirth selten zu hören ist. Ein veritables Wunder, daß durch keinen dieser oder der vielen anderen luminaries auf diesem Album der Focus verschoben, die Essenz verwässert wird. Drei Songs, darunter das eminent mitreißende „Traveling Light“, hat Bob Neuwirth gemeinsam mit Peter Case verfaßt, drei sind Cover-Versionen. Und wer die Delmore Brothers covert und, zum wiederholten Mal, Bobby Charles, dem gebührt jede Anerkennung der Welt.
Auf die legt Neuwirth indes wenig Wert. Zwischen seinem semi-legendären Asylum-Album und seiner letzten reinen Song-Kollektion „Back To The Front“ verstrichen 14 Jahre. Das übertrifft sogar die Wartezeit auf ein neues Werk von Scott Walker. Danach endedigte sich-Neuwirth mit „99Monkeys“ eines freieren, experimentelleren Albums und komponierte mit John Cale ein avantgardistisches Bühnenstück. Dazwischen hat er gemalt, ist gereist, hat er gelebt.
Einiges davon erleben wir nach in „Look Up“, die emotionale Spannbreite reicht von Glück bis Trauer, die Stimmungen von düster bis hoffend, die Themen von Liebe bis Tod. Eine Tendenz ist nicht zu erkennen. Der Song als musikalisches Polaroid, als Momentaufnahme mit variierender Tiefe, doch stets gestochen scharf.