Buddy Holly

Not Fade Away

Universal

The Complete Studio Recordings And More.

Das hätte sich Les Paul wohl kaum träumen lassen, dass er für die von ihm popularisierte Praxis des Overdubbing so viel Kritik ernten würde, als sich Phil Spector zu eben diesem Zweck an die Bänder von „Let It Be“ machte. Der andere renommierte Produzent, der sich von Fans deswegen vorher schon wüsten Schimpf einhandelte, war Norman Petty gewesen. Der hatte sich die Freiheit herausgenommen, etliche der frühen von ihm nicht fertig produzierten, aber auch nachgelassene – später als „Apartment Tapes“ bekannte – Heim-Aufnahmen mit Unterstützung des von ihm angeheuerten Quartetts The Fireballs kommerziell ganz schön clever nachzuproduzieren.

Die Resultate veröffentlichte das Coral-Label im Lauf der 60er-Jahre in gemessenen Abständen auf den LPs „Reminiscing“, „Showcase“, „Holly In The Hills“ und „Giant“. Die ersten beiden schossen 1962/63 in England sofort auf Platz 2 bzw. 3 der LP-Hitparade, die anderen beiden kamen dort 1965 bzw. 1969 „nur“ noch auf Platz 13. Petty hatte so gesehen also vollkommen recht, als er die Fireballs 1968 ein letztes Mal ins Studio bat, damit die eine zeitgemäße Begleitung zu Buddy-Holly-Aufnahmen von „Slippin‘ And Slidin'“, „Love Is Strange“, „Good Rockin‘ Tonight“ und Bo Diddleys „(Ummm, Oh Yeah) Dearest“ musizieren konnten. Kein Fan möchte die heute missen, schon gar nicht die hinreißenden Interpretationen von „Brown-Eyed Handsome Man“ und „Bo Diddley„, mit denen der den bewunderten Kollegen seine Ehrerbietung bezeugte. Weshalb man Archie Bleyer wegen seiner Overdubs bei den Everly Brothers-Produktionen nicht in demselben Sinne verdammte, hat wohl damit zu tun, dass Petty seine zum einen posthum und vor allem nicht mit tatkräftiger Hilfe der Crickets produzierte. Die hätten – zu der Zeit in England auch längst Legende – in jedem Fall für eine gewisse Authentizität gebürgt.

Die Overdub-Versionen der besagten LPs findet man hier so komplett wie auf der ersten CD die Country-Aufnahmen mit Bob Montgomery, mit denen Holly zwischen 1952 und 1955 seine zunächst sehr holprige professionelle Karriere begann. Sogar die letztes Jahr auf der „Down The Line“-Kollektion erstmals erschienene, daheim mit eigener Familie aufgenommene Version von Hank Snows „My Two-Timin‘ Woman“ fehlt nicht. Auf die frühesten, von Azetaten transferierten Aufnahmen wollte man trotz Lo-Fi-Klang nicht verzichten, obwohl es sich strenggenommen nicht immer um Studioeinspielungen handelt. Die auch von Fans aus vielen Ländern angebotenen Live-Mitschnitte mochte man nicht mit aufnehmen – vielleicht auch, um die in Sachen Buddy Holly seit langem eifrigen Bootlegger nicht ganz arbeitslos zu machen.

Wer nach der „Memorial Collection“ und dem „Rarities“-Set schon alle Hoffnung hatte fahren lassen, sieht sich jetzt also angenehm enttäuscht: Der für das Projekt verantwortliche Andy McKaie ließ offenbar alle leidigen juristischen Querelen und Fragen so weit klären, dass Buddy Hollys Gesamtwerk – wie das der Kollegen Elvis Presley, Gene Vincent, Johnny Cash und Everly Brothers zuvor – jetzt auch endlich vorliegt.

Die ganzen zwischen Juli 1956 und Oktober 1958 – also in nicht einmal zweieinhalb Jahren! – entstandenen Aufnahmen mit den Crickets und „solo“ (sprich mit ad hoc engagierten Begleitbands) sind streng chronologisch überspielt, gefolgt von den New Yorker „Apartment Tapes“ und den fast fünf Dutzend Overdub-Versionen. Als Best-Of-Kondensat dürften die drei CDs der „Memorial Collection“ jedem normalsterblichen Buddy-Holly-Fan zweifellos den ausreichenden Überblick über das Schaffen des vielbewunderten Songschreibers bieten. Für das exzellente Remastering dort zeichnete ebenfalls Erick Labson verantwortlich. Für die Fan-Gemeinde aber dürfte diese Gesamt-Box mit den 203 Aufnahmen und den profunden Liner Notes von Bill Dahl nichts weniger als der heilige Gral sein, auf den man seit dem Vinyl-Box-Set von 1979 hoffte.