Bullets Over Broadway von Woody Allen

ab 20. April Das Leben imitiert die Kunst Aber wer erschafft sie: Wer ist der kreative Geist hinter den Worten und Bildern, die seit Urzeiten auf uns niederprasseln? Dabei kann es dann schon mal passieren, daß die Kugel aus einer Pistole den künstlerischen Prozeß leitet. Hochphilosophische Fragen hat Woody Allen wieder einmal in den scheinbar lockeren Rahmen einer Komödie gesteckt Dabei ist Manhattans berühmtester Stadtneurotiker nach langer Zeit zum Kostümfilm zurückgekehrt In „Bullets Over Broadway“ wandelt er auf den Spuren von Howard Hawks (in „Scarface“) und Billy Wilder (in „Manche mögen’s heiß“). Der Gangsterfilm der 20er Jahre – ein Mythos der Geschichte: dunkle Gassen, gefahrliche Schatten an der Wand, Zement an den Beinen, Maschinengewehr-Salven prasseln aus vorbeifahrenden Autos, illegaler Schnaps macht die Runde, im New orker „Cotton Club“ feiert die kriminelle upper class den Jazz. In diesem Schmelztiegel aus Macht, Geld, Blut und Alkohol will ein junger Bühnenautor reüssieren. Aber vor den Erfolg hat der Broadway die Finanzierung gestellt Dem angehenden Dramatiker David Shayne (John Cusack) bietet sich die Chance, sein neues Stück selbst am Broadway zu inszenieren. Aber der Produzent (Jack Warden) bremst die Euphorie des blassen Schreiberlings, die Sache hat einen Haken. Ein auch körperlich gewichtiger Gangster-Boß (Joe Viterelli) ist bereit, die Aufführung zu finanzieren, wenn seine Geliebte, das Showgirl Olive (Jennifer Tilly), die Rolle der Psychiaterin im Stück übernimmt Bei der übrigen Besetzung hätte David völlig freie Hand. Leider ist Olive sowohl total unbegabt als auch strohdumm. (Ein niedriger IQ scheint zur Zeit Hochkonjunktur auf der Leinwand zu haben: „Forrest Gump“, „Dumm unddümmer“.) Ein Geschenk ihres dicken Freundes, sündhaft teure schwarze Perlen, kommentiert sie nur: „Was? Schwarze Perlen? Von defekten Austern?“ Und da ihr auch das Wort „masochistisch“ völlig fremd ist, scheint sie nicht unbedingt fiir ihre schwierige Theaterrolle prädestiniert zu sein. Aber David ist bereit, Kompromisse einzugehen, und läßt sich auf den Deal ein. Denn er hat den großen Broadway-Star Helen Sinclair (Dianne Wiest) überreden können, die Hauptrolle zu spielen. Was er nicht weiß: Die exzentrische Diva ist längst abhängig von Alkohol und Drogen, die verbrauchte Heroine giert mit allen Fasern ihres geilen Leibes danach, wieder im Rampenlicht zu stehen. Helen verführt David, und alle sind glücklich – bis zur ersten Probe. Olive erscheint nämlich mit einem undurchsichtigen Mann im Hintergrund. Der Gangsterboß hat Cheech (Chazz Palminteri) zu Olives persönlichem Schutz mit ins Theater beordert, der Leibwächter ist ein Killer. So hockt ein gelangweilter Gangster, dem die Pistole ziemlich locker sitzt, im Zuschauer-Raum, und auf der Bühne quälen sich die Schauspieler mit Davids unerträglichem Stück ab – einem Konglomerat aus hohlen Phrasen und prätentiösem Schwachsinn. Zu allem Überfluß ist Cheech dazu verdonnert, in seiner Freizeit mit Olive den Text für den nächsten Tag einzustudieren. Allmählich scheint er sich für die fremde, seltsame Welt auf der Bühne zu interessieren: Dezent gibt er David Tips, wie das Stück mit Leben zu füllen ist Lebensnah soll das Theater sein, der Straße abgeschaut, mit prallen Figuren statt anämischen Schimären. Cheechs Anderungsvorschläge werden immer präziser, der Gangster entdeckt den Spaß an der Sprache. Der eiskalte, stumme Killer mutiert zum redegewandten Autor. Und David sieht langsam seine Felle davonschwimmen. Die Geister, die ich rief.« Woody Aliens Spiel mit dem Faust-Mythos steckt voller Überraschungen und unverhoffter Wendungen, sein Wortwitz, seine auf den Punkt genauen Dialoge sind unübertroffen. Als verbaler Katalysator und ewiger Schwadroneur muß diesmal Rob Reiner als Woody Aliens Alter ego herhalten, denn der Meister selbst glänzt durch Abwesenheit Die Themen – Liebe, Sex, Karl Marx und die Ökonomie sind die alten. Auch für „meine Freunde bei der Presse“ hält Allen eine Pointe bereit: In einem Brief bittet er sie (also uns): „Wäre es Ihnen möglich – vorausgesetzt, es erscheint Ihnen vernünftig -, in Ihren Besprechungen nicht zu verraten, was für Überraschungen die Handlung birgt? Ich bitte nur deshalb darum, weil das Publikum mehr Spaß an der Sache hat, wenn es nicht genau weiß, wo die Geschichte langgeht Sollte dies jedoch zuviel verlangt sein, so habe ich natürlich alles Verständnis. Ich danke Ihnen dafür, daß Sie die Sache in Erwägung ziehen.“ Das Leben imitiert die Kunst Woody Allen war auf der Suche nach dem Schöpfungsakt des Autors: Eines seiner Theaterstücke heißt „Gott“. David Shayne hat seine Seele verkauft, Allen hat seinem Kanon an Meisterwerken ein weiteres hinzugefügt 100 Jahre Kino ein Viertel davon mit Woody Allen. Jan-Barra Hentschel

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