Colin Blunstone – One Year

Auf die Idee, „Misty Roses“ so zu arrangieren, als wär’s ein Stück von Franz Schubert und nicht von Tim Hardin, muss man erst mal kommen. Es waren diese komplexen Streicherarrangements, derentwegen die Produktion von Colin Blunstones Debüt-LP sich über ein ganzes Jahr hinzog. Weshalb er das erste Solo-Album dann auch „One Tear“ betitelte.

Ziemlich abenteuerlich war, was er bis dahin unternommen hatte, um seine professionelle Musiker-Karriere wieder in gute Bahnen zu lenken. Die Zombies hatten sich schon aufgelöst, als „Time Of The Season“ – zwei Jahre nachdem die Band Rod Argents Songs aufgenommen hatte – es bis auf Platz 3 der US-Hitparade schaffte. Zu spät, als dass man daraus noch Kapital hätte schlagen können: Zu dem Zeitpunkt hatte sich der Sänger schon entschlossen, in seinem neuen Job als Versicherungsagent anderen Menschen ihr Geld abzunehmen. In England war diese letzte Single zwar kein Hit, trotzdem kam jetzt ein Produzent auf Blunstone zu und konnte ihn davon überzeugen, dass er unter dem Künstlerpseudonym Neil MacArthur sein altes Erfolgslied „She’s Not There“ einmal mehr solo aufnehmen müsse. Und auf dem Decca-Sublabel Deram wurde das tatsächlich nach fünf Jahren in England tatsächlich noch einmal ein – diesmal kleiner – Hit!

Wenig später lief er zwei Ex-Kollegen aus Zombies-Jahren (Chris White und Rod Argent) über den Weg. Die hatten -Prog-Rock war schwer angesagt! – als Argent bei Epic angeheuert und benötigten nicht größere Überredungskunst, um auch Blunstone dem CBS-Sublabel als neuen Solo-Künstler anzudienen. Weil die meisten Firmen mittlerweile davon überzeugt waren, dass man mit erfolgreichen LPs noch weit mehr – und beständiger – Geld verdienen konnte als mit Single-Hits, stellte man dafür entsprechend größere Budgets zur Verfügung und feuerte Bands auch nicht umgehend wieder, wenn die ersten Platten nicht gleich Bestseller wurden (in der Hinsicht hatte man bei Warner Bros, mit denen von Little Feat bis Randy Newman bekanntlich ganz besondere Erfahrungen – heute eh nicht mehr vorstellbar). Also konnte Colin Blunstone sich Zeit lassen

für eigene Songs nicht anders als für neue, die ihm White, Argent und Russ Ballard freundlicherweise überließen.

Derselbe Michael d’Abo, der Rod Stewart für das Solo-Debüt mit „Handbags & Gladrags“ eine absolute Steilvorlage geliefert hatte, gab Blunstone „Mary Won’t You Warm My Bed“ – Motown-Klassizismus pur gemischt mit viel Phillysoul-Eleganz, was Tony Visconti aber in ein sehr eigenständiges Arrangement verpackte. Die hinreißende Barock-Pop-Ballade „Though You Are Far Away“ klang mehr als alles andere nach Dusty S. in Memphis – verfrachtet aber in ein exquisites Streicher-Arrangement. Endlos Finesse wies auch „Caroline Goodbye“ auf, eines dieser Blunstone-Kabinettstücke, nach denen man endgültig weiß, warum er mit solch sängerischer Extraklasse zu den ganz Großen seines Fachs gehörte. Mit „She Loves The Way They Love Her“ knüpfte er bruchlos an die besten Leistungen aus Zombies-Tagen an – wie sich das überhaupt auf „Odessey And Oracle“ nicht als Fremdkörper ausgenommen hätte. Und was die meisten Rufus-Wainwright-Fans vermutlich nicht wissen: Elegische Lieder wie „Her Song“ würden sie lieben, wenn sie die denn kennen würden!

Die Frage ist trotzdem immer noch: Wie konnte Arrangeur Chris Gunning bei so viel Streicher-Opulenz je glauben, dass er die Songs damit auf die Erfolgsstraße zwingen würde? Im Vergleich dazu besticht die Arbeit von Paul Buckmaster bei frühem Elton John fast schon wieder durch nobles Understatement. In ihrer Zurückhaltung durchaus feinsinnig waren dafür die Bläser bei „Let Me Come Closer To You“ arrangiert. Aber am Ende wurde „Say You Don’t Mind“, letzter Song der LP und als dritter für eine Single ausgekoppelt, der Hit. Bleibt dann nur die Frage: Warum? Den schon vor seiner Moody Blues-Zeit von Denny Laine geschriebenen Song hatten die Zombies mehrfach auch bei BBC-Auftritten interpretiert. Wieso er erst jetzt, ebenfalls in Barock-Pop umgedeutet, seine Ohrwurmqualitäten offenbarte, bleibt auf Dauer rätselhaft. Das späte Zombies-Meisterwerk liegt seit Jahren exzellent remastered wieder vor, das erste und beste Colin Blunstone-Album hier (ganz ordentlich) endlich auch.

Und, wie es der Zufall wollte: Die erfolgreichste Argent-LP „All Together Now“ gibt es seit kurzem-einschließlich des Mono-Mix der Hit-Single „Hold Your Head Up“ und weiteren Zugaben – auch wieder auf CD (Acadia/Soulfood, 3). Eine bessere sollte diese Band nie mehr machen.

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