Current 93

Black Ships Ate The Sky

David Tibet führt wieder durch seinen schillernden Zauberwald

Folk wird nicht mehr von singenden LKW-Fahrern und rotwangigen Dart-Spielern produziert, das hat sich herumgesprochen. Doch zwischen den mittelalterlich kostümierten Gauklern aus den Charts und den abstrakten Soundarchitekten der Folktronica gibt es

auch Sonderlinge wie David Tibet. Seit 24jahren kommuniziert der bekennende Nichtmusiker und Dandy durch sein Ensemble Current 93. Anfangs kam dabei nur dröhnender Industrial heraus, so aufregend wie die Arbeitsabläufe in einem Betonwerk. Doch seit Tibet in den Neunzigern den britischen Folk entdeckt hat, tönt seine Musik wie ein dunkel schillernder Zauberwald. Zart perlende Gitarrenläufe, Streichquartette und schwebende Elektronikklänge untermalen seitdem die rätselhaften Texte, die von griechischer Mythologie, der Bibel, dem Buddhismus, Aleister Crowley und Count Stenbocks Dekadenz-Literatur gespeist werden.

„Black, Ship Ate The Sky“ hat im Oeuvre des britischen Exzentrikers den Rang eines exquisit besetzten Großwerks. Neben „regulären“ Bandmitgliedern wie Ben Chasny, Michael Cashmore, Stephen Stapelton und dem Cellisten John Contreras hören wir auch eine Reihe von illustren Gastsängern: Antony, Mark Almond, Bonnie „Prince“ Billy, Brit-Folk-lkone Shirley Collins, Cosey Fanni Tutti, Baby Dee, Pantaleimon und Mike Oldfield Sängerin Clodagh Simonds. Alle interpretieren auf völlig verschiedene Art – einen alten Folksong, der sich wie ein roter Faden durch das Album zieht: „Idumea'“ ist eine Hymne aus dem i8.Jahrhundert, die sich mit der eigenen Sterblichkeit beschäftigt. Antony intoniert unschuldig und pur, Oldham kombiniert das irdische Banjo mit jenseitigen indischen Drone Sounds, und Almond schwelgt im gesanglichen Pathos wie zu seinen besten Zeiten.

Dazwischen erzählt David Tibet die dramatische Geschichte der schwarzen Schiffe, die den Himmel verschlangen. Gott, Lazarus, der Tod und kleine Kätzchen (Tibet ist ein großer Fan des Kitschmalers LouisWain) treten auf. „Who will deliver me trom myself?“ kreischt er im kathartischen Finale des Titelsongs. Es geht anscheinend um nichts Geringeres als die menschliche Existenz und das Universum. Doch man spürt auch einen gewaltigen Überdruss an der Realität, die Tibet ganz offensichtlich als banal und furchtbar öde empfindet. In seiner Musik raunt er von Schönheit und Poesie, gibt seiner Verzweiflung eine beruhigende Form. Doch unter all diesen zarten, mit der Stimme eines Märchenerzählers vorgetragen Liedern, brodelt etwas Unaussprechliches. Vielleicht der Horror eines H.P. Lovecraft, vielleicht die Erlösung und Hingabe im Glauben. Tibet selber scheint es nicht zu wissen, und wir suchen mit ihm. (DURTRO/ southerh)