David Byrne – Grown Backwards

In einem kleinen Essay, veröffentlicht in der unhandlichen Talking Heads-Anthologie „Once ln A Lifetime“, erklärt David Byrne, weshalb er keine Songs mehr wie früher schreibt: weil er so nicht mehr schreiben kann. Und damit ist alles gesagt über das Dilemma dieses begnadeten Songschreibers: Seine Solo-Karriere umfasst bereits fünf Alben (nicht viel seit 1989!) und die eine oder andere Theater- und Film-Arbeit, aber die Leute mochten den Mambo nicht und auch nicht das Gilgamesch-Epos oder Annäherungen an die Postmoderne mit Morcheeba. Plötzlich waren es Bemühungen, wo früher Genie waltete.

Andererseits hat Byrne mit „Look lnto The Eyeball“ eine probate Form gefunden: kleine Songs mit kleinem Streicher-Ensemble, überschaubar und erlesen zugleich. Bei jedem anderen wäre das Singen von, tja, Stücken von Georges Bizet und Giuseppe Verdi eine geschmäcklerische Todsünde, aber Byrne zärtelt sehr schön und feierlich mit Rufus Wainwright „Au Fond Du Temple Saint“, als wäre es ein Lied von ihm. Der Pop hat ihm alles gegeben, und statt bei primitiven Formen bedankt sich Byrne jetzt eben bei hochgezüchteten.

Aber auch die elegischen Bläser von „Empire“, der raffinierte Pop und lustige Sprechgesang von „Tiny Apocalypse“, der lässige Brass-Funk „Dialog Box“, die typische Byrne-Melodie von „The Other Side Of This Life“ sind ganz grandios und greifen ans Herz. Und sind Byrnes Sujets nicht recht eigentlich dieselben geblieben, also Natur, Zivilisation, Entropie, Kommunikation und Semantik (mal so dahin gesprochen)? Jawohl! Die Geschichten mögen kleiner, ja intimer geworden sein, doch die großen Fragen drohen nicht nur in „Why“. Noch immer gibt es keine Antworten, bloß die von „Road To Nowhere“: Der Mensch bewegt sich, so lange er kann, und Ewigkeit hat nur die Schönheit (und also die Kunst). „Glass, Concrete, Stone“: Noch immer arbeitet sich der Unbehauste an Werkstoffen ab. „And it’s just a house, not a home/ And my head’s fifty feet high/ Let my body and soul be my guide.“ Die Entfesselung von „Remain In Light“ war ja auch Sehnsucht nach dem Zerfall, „Naked“ der Traum von der Revolution. Die manchmal aufgekratzte Melancholie des letzten Albums der Talking Heads ist hier die Wehmut des Loslassens. „And the world is queer/ And the human is strangest of all“

Byrne setzt die Worte einzeln und mit Nachdruck oder formuliert Textlawinen, er grübelt und erfindet und fabuliert – aber wie bei den Talking Heads hören wir erst mal nur diese sanfte Stimme und diese berückende Musik, bevor wir vielleicht aufs Textblatt schauen. Vielleicht. Er singt die schleichende Brummel-Ode „The Man Who Loved Beer“ von einer alten Lambchop-Platte! Doppelt so schnell und ohne schläfrig ins Glas zu knödeln!

Weil „Grown Backwards“ natürlich auch ein (jugendliches, leichtsinniges) Spätwerk ist, erfassen uns Schauder der Rührung, wenn der Mann, der „Psycho Killer“ war, am Ende „I’m glad that I know how my life will end“ singt Ironisch, zum Glück. Es folgt „Un Di Felice, Eterna“. Das große, strömende Gefühl.

Eine unwiderstehliche Platte. Sail on, you pirate on parade!

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