Der Distelfink Donna Tartt *** :: Dieser dritte Roman der 40-jährigen Amerikanerin ist in den letzten Monaten weltweit gelobt und gepriesen worden und brachte ihr jüngst den Pulitzer-Preis. Nach Lektüre des epischen Werkes (in der Übersetzung von Rainer Schmidt und Kristian Lutz sind es über 1.000 Seiten), ahnt man, warum: Tartt hat sich ganz dreist (und etwas naiv) an Weltliteratur versucht, also einen Roman konzipiert, in dem all die großen Fragen der Menschheit nach Gut und Böse, dem Wesen der Schönheit, der Wahrheit, der Liebe und letztlich dem Sinn des Lebens verhandelt werden.
Aber diese gewichtigen Themen hat Tartt sich (in recht leichtgewichtigen Ausführungen) für die letzten 100 Seiten aufgespart. Bis dahin ist „Der Distelfink“ ein Coming-of-Age-Roman unter dem Vorzeichen der Katastrophe. Theo Decker ist eines dieser altklugen Upper-Eastside-Kids, wie wir sie von Salinger oder Safran Foer kennen. Er überlebt einen Terroranschlag auf ein Museum, bei dem seine geliebte Mutter stirbt. Ein älterer Herr, Welty Blackwell, gibt ihm in den Trümmern mit seinem letzten Atemzug einen Ring, und der Junge nimmt auf seinem Weg hinaus noch panisch ein Gemälde des niederländischen Rembrandt-Schülers Carl Fabritius mit -„Der Distelfink“. Als Halbwaise kommt er zunächst in der Familie eines Freundes unter, der geheimnisvolle Ring führt ihn zu einem alten Antiquitätenladen, wo er Weltys Partner Hobie kennenlernt. Der macht ihn mit Pippa bekannt, einem bei jenem Anschlag schwer verletzten Mädchen. Er verliebt sich in seine Leidensgenossin, muss aber die Stadt bald verlassen, um zu seinem Vater Larry zu ziehen, einem erfolglosen Schauspieler, der sein Geld mit Glücksspiel verdient und verliert und mit seiner White-Trash-Braut Xandra in Las Vegas lebt. Dort führen Theo und sein Klassenkamerad Boris, ein sich-allein-erziehender Gelegenheitsgangster und Drogendealer, ein unbekümmertes Leben jenseits der Erwachsenenwelt. Doch dann stirbt Larry, Theo nimmt den Bus nach New York, kommt bei Hobie unter, wird sein Kompagnon, rettet mit unlauteren Mitteln den maladen Laden und steht kurz vor der Hochzeit, als Boris wieder auftaucht – und mit ihm die Vergangenheit. „Der Distelfink“, den Theo, wie er glaubt, all die Jahre vor der Welt versteckt hat und der ihn doch wie nichts sonst mit ihr und der Zeit vor dem Anschlag verband, wird zum Problem.
Mit literarischen Verweisen, eifrig gesetzten Motiven, aber ohne narrative Kniffe erzählt Tartt diese Story. Ihre Figuren sind nicht frei von Klischees, wachsen einem aber über die epische Länge zwangsläufig ans Herz. „Der Distelfink“ ist ein schöner altmodischer Schmöker, ein Dickens fürs 21. Jahrhundert. (Hanser, 24,99 Euro) MAIK BRÜGGEMEYER