Der narzisstische Punk :: Buch des Monats: Being John McEnroe stellt das cholerische Genie in einen historischen Kontext
Tim Adams beschwört das goldene Zeitalter des Tennis, als man noch mit Holzschlägern spielte und es also auf Ballgefühl, Taktik und spielerische Raffinesse ankam und nicht so sehr auf „Kraft und Spin“. Adams muss sich gar nicht groß anstrengen mit der Illuminationsarbeit – er nennt die auratischen Namen und hat schon fast gewonnen: Arthur Ashe, Jimmy Connors, Vitas Gerulaitis. immer wieder Björn Borg. Auf der gegenüberliegenden Seite steht „Superbrat“ John McEnroe, der cholerische Prolet, der narzisstische Punk, vielmehr steht er gar nicht, sondern verbiegt Schläger, schmeißt mit vollen Cola-Dosen, brüllt seine Wut über sein Schicksal und die Unzulänglichkeit der Schiedsrichter hinaus. Adams interpretiert McEnroe als Star neuen Typs, der um zu siegen jederzeit die gängigen Normen zu missachten bereit ist. Sein Renegatengebaren in Wimbledon spiegelte aber auch die innenpolitische Situation Großbritanniens jener Jahre. McEnroe artikulierte gewissermaßen den Frust der Arbeiterklasse in der Thatcher-Ära angesichts der wirtschaftlichen Depression und enorm gestiegenen Arbeitslosenzahlen. Das alles wird von Adams einleuchtend entwickelt und formuliert. Auch seine komplementäre, beinahe schon erotische Gegnerschaft zu Borg, den McEnroe brauchte, weil nur der ihn zum stets erhofften idealen Tennis zwang, beschreibt Adams empathisch und mit der nötigen küchenpsychologischen Delikatesse, ohne die es wohl nicht geht. Nur die Exegese der beiden zentralen Begegnungen mit Borg, eben jener sagenhaften Wimbledon-Endspiele 1980 und 1981, bleibt merkwürdig blass. Dabei wäre das doch Adams‘ literarische Nagelprobe gewesen. (Berlin, 16 Euro)