Die Doraus und die Marinas :: Blumen und Narzissen
Zwei Alben aus der romantischen Perriode des Andreas Dorau
Solche Musik, solche Künstler kann man ja immer leicht erklären: Ein Hamburger Pfarrerssohn, der Anfang der 80er-Jahre mit kleinen Raumschiffen, Lokomotivführern und singenden Seehunden ankommt, mit gekämmten Haaren und Knickerbockern, Mädchenchor und Tanzkapelle – der drückt damit natürlich seine Verachtung für Rock’n’Roll aus. Der will hybrid-feminin sein und kein Chauvi. Der will den Punks zeigen, dass sie mit ihren gestülpten Lippen und geboxten Riffs genauso übel sind wie die alten Rolling Stones.
Aber wer die Popper-Revue des frühen Andreas Dorau darauf reduziert, der vergisst, dass es viel bessere und effektivere Wege gegeben hätte, um mit dem Hass auf Rock umzugehen (Unternehmensberater oder Skilehrer zu werden, zum Beispiel). Es muss andere Gründe gegeben haben, warum der 16-jährige Dorau Kinderlieder wie „Fred vom Jupiter“, „Reisen um die Welt“ und „Nordsee“ komponierte, sie mit der Düsseldorfer Der-Plan-Crew auf Platte brachte und 1981 zum letzten krediblen deutschen New-Wave-Prinzen wurde: Sehnsucht zum Beispiel, nach so etwas wie reiner Schönheit, nach einer Idylle, die nicht immer schon automatisch durch Nazi-Muff verpestet sein sollte. Also etwas, das in Deutschland zu der Zeit unmöglich war – höchstens als Utopie, als Reich der Kinder. Als Dorau dann mit seinen Marinas auf Tour ging, hatten sie tatsächlich eine eigene kleine Biedermeierwelt dabei. Mit Gartenzäunen, Blumen und Autos, von Künstler Moritz Reichelt auf Sperrholz gemalt und ausgesägt.
Das Pech war, dass zur selben Zeit die Plattenfirmen CBS und Polydor die Stars der sogenannten Neuen Deutschen Welle ins Rennen schickten, die „Hohe Berge“, „Sternenhimmel“ und „Die Sennerin vom Königsee“ sangen. Und mit denen man Dorau leicht verwechseln konnte, was ihm absolut nicht gefallen konnte – weshalb er die zwei Alben aus dieser Phase auch nie auf CD veröffentlichen ließ, jedenfalls nicht außerhalb von Japan. Warum auch immer, jetzt gibt es sie endlich bei uns, und zumindest „Blumen und Narzissen“ ist unverzichtbar: Die heute in der Tat etwas dümmlich (und schon NDW-nah) wirkenden Stücke wie „Einkauf“ oder „Ernst“ sind die Ausnahme, umso einzigartiger klingen der dunkle Märchenkeller-Pop von „Junger Mann“ und der Kinderzimmer-Amphetamin-Hit „Lokomotivführer“ mit der legendären Textzeile „Blumenkohl, Penis“. Sechs Bonustracks (Single-Stücke, Sampler-Beiträge) zeigen die experimentellen Wurzeln, ein großer Gewinn.
Knapp zwei Jahre später, bei „Die Doraus & die Marinas geben offenherzige Antworten auf offene Fragen“ (), war Dorau dann selbst bei der CBS unter Vertrag, saß im 24-Spur-Studio und musste ertragen, dass erwachsene Techniker seinen Girls sagten, sie könnten nicht singen. Die Platte ist ein naiver, witziger Großspaß und wahrscheinlich das, was verkappte Romantiker wie Bernd Begemann und Rocko Schamoni ihr Leben lang gerne gemacht hätten. Trotzdem scheitert hier Doraus Konzept: Als durchproduzierte, perfekt ausgeleuchtete Schlager klingen Stücke wie „Satellit“, „Großer Bär – kleiner Bär“ oder „Feierabend“ („Das Tagwerk ist getan/ Und die Männer fahren heim mit der Bahn“) mit ihren Südsee- und Spießbürgerklischees eher reaktionär als subversiv. Besser als alle Nena- und Markus-Platten ist das trotzdem, erst recht mit den vier Bonustracks, darunter das großartige „Kleines Stubenmädchen“.
In den Neunzigern, als Raver und Computerfreak, machte Andreas Dorau die nachhaltigere Musik. So utopisch und avantgardistisch wie in der Kinderzeit war er aber nie wieder. (Bureau B) Joachim Hentschel