Die Kunst des negativen Denkens :: Bard Breien (Start 18.9.)

Noch schlimmer als der Terror der guten Laune ist die Diktatur des positiven Denkens. „Wir wissen, dass du es schwer hast“, sagt die Gruppentherapeutin Tori (Kjersti Holmen) zu Geirr (Fridtjov Saheim), der im Rollstuhl sitzt. „Aber du hast doch gestern bestimmt auch Schönes erlebt.“ Seine Antwort fällt kurz und knurrig aus: „Gestern war ich gelähmt und impotent- nein, ich habe nichts Schönes erlebt.“ Und als sie ihn tanzend an die Hände fasst, knallt er ihr kurzerhand die Faust ins Gesicht.

Man muss sein Schicksal annehmen, kann es aber nicht schön reden. Dieser feine Unterschied ist die Erkenntnis des Regiedebüts des Norwegers Breien, der mit emotionalen Erschütterungen und sarkastischem Witz ebenso Mitleid wie Selbstmitleid schmerzlichen Prüfungen aussetzt. Geirr hockt in seinem abgedunkelten Zimmer mit einem Revolver auf dem Schoß, hört Vinyl-Platten von Johnny Cash und guckt „Apocalypse Now“. Mit langen Haaren sieht er etwas aus wie Tom Cruise in „Geboren am 4. Juli“, und sein Faible für Kriegsfilme wird auch in einigen Szenen zitiert, inklusive Russisch Roulette. Als seine Frau schließlich Tori und ihre kleine Gruppe vorbildlich eingeschränkter Patienten einlädt, kommt es zum Stellungskrieg.

Toris Motto lautet: „Wir blicken auf die Lösung, nicht auf die Probleme.“ Verliert einer doch mal den positven Blick, soll er seine negativen Gefühle in einem Kotzbeutel aus Stoff entsorgen. Asbjorn (Per Schaaning) und Marte (Marian Saastad Ottesen) sind vom Hals ab gelähmt, aber Tori predigt ihnen „Lebensfreude und Tatkraft“ und hält es für trostlos, wenn Geirr alleine Filme schaut. Der will sich nicht bekehren lassen, stichelt, streitet und provoziert, bis auch die Gruppe rebelliert und Frau Dr. Feelgood flüchtet. So beginnt bei Gin Tonic und Joints die Nacht der langen Messer: Es fallen Hemmungen, brechen Frust. Wut und verdrängte Wahrheiten durch, werden seelische Wunden geschlagen und Suizidgedanken gehegt. Hilflosigkeit und verzweifelte Versuche der Betroffenen, mit der Situation umzugehen, zeigt Breien mit wahrhaftiger Wucht.

Körperliche Behinderung wird als Gefängnis empfunden, was neben Stina Nordenstams „So This Is Goodbye“ auch Johnny Cashs „Folsom Prison Blues“ unterstreicht. Aber man kann ausbrechen. „Man wird nie seine Probleme lösen“, sagt Geirr, „wenn man nicht die Kunst des negativen Denkens lernt.“ Dass alles positiv endet, muss man nicht negativ sehen.

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