Diverse :: Country & Western Hit Parade 1956-60

Country-Songs, bevor Rock’n’Roll in den USA alles an sich riss

Man schrieb das Jahr 1958, als Ferlin Husky unter dem Pseudonym Simon Crum das semi-parodistische Lied „Good Old Country Music Is Here To Stay“ aufnahm und Wayne Raney es mit „We Need A Whole Lot More of Jesus (And A Lot Less Rock And Roll“ zu neuerlicher Popularität brachte. Dominierendes Instrument war die bald wieder im Folk-Revival so wichtige Mundharmonika, und reichlich Lagerfeuerromantik prägte das Lied auch. Dabei mussste man eigentlich gar nicht befürchten, dass Rock’n’Roll der Country Music in Kürze den Garaus machen könnte. Nichts belegt das besser als diese neuen fünf CDs der Bear-Familie-Serie. Da singt Ray Price mit „Crazy Arms“ einen der größten Country-Heuler, ist Marty Robbins und nicht Guy Mitchell als Interpret von „Singing The Blues“ zu hören, und vier Jahre später startet Loretta Lynn ihre spektakuläre Karriere mit „I’m A Honky Tonk Girl“. Wie heterogen das in Wirklichkeit war, was das „Time Magazine“ 1960 in einer Geschichte etwas verächtlich als „The Nashville Sound“ bezeichnete, dokumentieren diese CDs restlos überzeugend.

Den Crossover-ErfoIg in der Pop-Hitparade suchten Country-Interpreten nicht erst, seit die Country-Abteilung von RCA Elvis Presley unter Vertrag genommen hatte. Auch wenn ein Carl Smith 1960 praktisch zeitgleich mit Eddie Cochran eine ganz famose Deutung von „Cut Across Shorty“ vorlegte (hier unter den Hits von 1960), sahen trotzdem die wenigsten Kollegen irgendeine Veranlassung, das Fach zu wechseln. Weit eher fühlte sich da schon 1957 ein Rock’n’Roller wie Jerry Lee Lewis bemüßigt, den Hank-Williams-Evergreen „You Win Again“ aufzunehmen, auch wenn das nach „Great Balls Of Fire“ nur minimale Hit-Chancen hatte. Hank Locklin oder Jim Reeves mussten nicht fürchten, von Kollegen angefeindet zu werden, weil ihre Songs wie „Please Help Me, I’m Falling“ oder „He’ll Have To Go“ Top-Seller in der Pop-Hitparade waren. Wie Colin Escott in seinen Liner Notes erzählt, hatten die Plattenfirmen längst hauseigene Prominenz wie Mitch Miller damit beauftragt, Country-ErfoIge auf ihr Pop-Potenzial zu prüfen. Im Fall von Johnny Horton, Everly Brothers oder Marty Robbins war das gar nicht nötig. Die von diesen hier ausgewählten Songs waren ohnehin Millionenseller.

Einmal mehr findet man nicht nur die üblichen Verdächtigen jener Jahre in der Auswahl, also Lefty Frizzell, Johnny Cash, Patsy Cline oder George Jones e tutti quanti, sondern auch hübsche Kuriositäten wie Bobby Helms‘ „Fraulein“ (schlappe 52 Wochen in der Country-Hitparade, „nur“ 27 in den Top 100 von „Billboard“) und Kult-Klassiker wie John D. Loudermilks „Tobacco Road“ in dessen Originalaufnahme vom Dezember 1959. Das war zwar ein totaler Flop, denn der erzählte von der gleichnamigen Straße in einem Slum in East Durham, North Carolina, wo der white trash dieser Stadt lebte. (So zu entnehmen den wie immer höchst instruktiven Liner Notes von Colin Escott.) Also nicht unbedingt der Stoff, zu dem man träumen, tanzen oder sich betrinken mochte, auch wenn da die Mama starb, Vater ein heilloser Alkoholiker und das Leben hart war. Allerdings ist, wie Escott auch zu berichten weiß, seither kaum ein Jahr vergangen, in dem nicht irgend jemand „Tobacco Road“ aufnahm. Manche Country-Songs haben ein zähes Leben. Linda Ronstadt etwa fand es 1969 an der Zeit, neben Randy-Newman-, Bob-Dylan- und Fred-Neil-Songs auch „We Need A Whole Lot More of Jesus (And A Lot Less Rock And Roll)“ für ihr Album „Hand Sown… Home Grown“ aufzunehmen. Was sie dann wohl für ihren Auftritt in Johnny Cashs Fernsehshow qualifizierte. (Bear family) Franz Schöler

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