Drucksachen

„LONG DISTANCE INFORMATION“ (MusicMentor, ca. 65 Mark) von Fred Rothwell ist die äußerst nützliche Dokumentation von „Chuck Berry’s Recorded Legaey“: sämtliche Daten und Fakten zu Aufnahme-Sessions, Platten und Charts-Notierungen. Jede Menge Hintergrundinformationen und teils bekannte, teils erstaunliche Anekdoten machen das Lesen leicht und werfen in ihrer Summe ein helleres Licht auf den Schlawiner als dessen euphemistische Autobiografie. Im Anhang offeriert Rockwell eine umfängliche Liste von Künstlern und Platten, die prägenden Einfluss hatten auf Berrys Musik und Texte, darunter offenkundige Kandidaten wie Elmore James und Jimmy Reed, aber auch solche, die von einem breiteren Fankreis erst noch entdeckt werden wollen. Wee Bea Booze etwa oder Bumble Bee Slim. Aufschlussreich auch die Liste der meistgecoverten Berry-Hits, angeführt natürlich von „Johnny B. Goode“, das es 358 Mal ins veröffentlichte Repertoire anderer Künstler schaffte. Rollover Beethoven, teil Tchaikovskythenews. 4,0

„BEAT POP PROTEST“ (Editions Plus/Bear Family, 98 Mark) von Samuel Mumenthaler ist ein Prachtband über ein Paradoxon. Wo, bitteschön, wäre man in den wilden Sechzigern besser geschützt gewesen vor den Wirren der Zeit als in der behäbigen, aseptischen Schweiz? Nirgends womöglich. Aber nicht einmal dort war man sicher, so das Fazit einer faszinierenden Lektüre. „Der Sound der Schweizer Sixties“ (Untertitel) wandelte sich mit notorischer Verspätung, doch verlässlich. Mumenthalers Chronik ist da unerbittlich, sein Stil oft süffisant und (selbst)ironisch. „Der Rock klopfte zweimal an, bevor er in die Schweiz kam“: so beginnt das Kapitel „Rip It Upl“. Und bereits im Prolog stellt der Autor klar: „Die Musik und die Mode der Schweizer Sixties waren eine Kopie, besser: ein Nachempfinden von dem, was mit Urgewalt von allen Seiten über unser kleines Land hereinbrach.“ Die Eidgenossen rockten, ein paar jedenfalls. Ihre Geschichte wird erzählt, von Existentialisten-Kellern ist die Rede, von versprengten Halbstarken, Shadows-Epigonen, Moptops bei der Haarpflege und vom Beat Club im Niederdorfer Hotel Hirschen „Der Schweizer summeroflove begann erst im Herbst“, witzelt Mumenthaler, doch dafür rollten am 14. April 1967 die Stones an und brachten ihr Maskottchen mit: die Revolte. Das Grand Hotel weigerte sich, die Unruhestifter aufzunehmen, die Polizei trat ihnen mit 400 Mann entgegen, die Fans demolierten das Gestühl des Züricher Hallenstadions, die Presse sprach von Massenvandalismus und registrierte erfreut: „Mit Hydranten wurden Hunderte von Randalierenden abgespritzt, dann wurde rücksichtslos durchgegriffen und verhaftet.“ Ein Fanal für die Alpenrepublik, für die Stones businessasusual. Am Nachmittag war Brian Jones beim Flanieren durch die Altstadt darauf hingewiesen worden, dass der Stadtplan, an dem er sich da orientierte, einer von Rom sei. Seine Antwort: „Who cares?“ 4,5

„EXILE“ (Genesis/WOM, 890Mark) bannt „The Making Of Exile On Main Street“ in den Fotografien von Dominic Tarle, der Prosa von Robert Greenfield, in Interviews und Impressionen eines „Cast Of Characters“: die Stones natürlich, ihre Gespielinnen, Gram & Gretchen Parsons, das Production-Team um Jimmy Miller und die Gebrüder Johns, die Musiker Bobby Keyes, Jim Price, lan Stewart und Nicky Hopkins, sowie eine Handvoll hochkarätige Hänger aus dem Filmund Modegeschäft. Auf 250 großformatigen, schön gestalteten und edel gedruckten Seiten wird die Atmosphäre eingefangen, in derdie Sessions zum fulminantesten und fiebrigsten aller Alben stattfanden. Ein gefahrvolles Abenteuer von einer Platte und das ultimative Statement zu einem Begriff, der sich erst 20 Jahre später in den aktiven Wortschatz von Musikologen stehlen sollte: Americana. Und das im Süden Frankreichs, auf der Flucht vor dem britischen Fiskus. Er hätte nicht im Traum daran gedacht, England den Rücken zu kehren, beteuerte Charlie Watts, doch dann hätten die Zahlen das letzte Wort gehabt. Bill Wyman: „My reluctance to go is overridden by our current financial state.“ Das war 1971. Und so begab man sich in Keefs Keller, der Rest ist Rock’n’Roll-Historie. „Exile“ esscheint rechtzeitig vor Weihnachten, ist limitiert auf 2000 Exemplare, von denen 260 „Deluxe-Copies“ von Mick Taylor signiert sind. Für den Stones-Aficionado ohne Geldsorgen. Ein Genuss. 4,0

„MADONNA IN EIGENEN WORTEN“ (Palmyra,34 Mark) herausgegeben von Mick St. Michael, ist eine Sammlung mehr oder weniger leerer Sprechblasen. Kein Wunder, dass diese Frau besser in die aktuelle Landschaft passt als sonst jemand im Unterhaltungsgewerbe. Madonnas Talent, ihre Musik im Trendstrom so zu positionieren, dass sie selbst nicht als Treibgut, sondern als Trendsetterin wahrgenommen wird, verdient Applaus. Sie ist der personifizierte Shareholder-Value im Pop, renditefreundlich, krisenfest. Ähnlich tiefschürfend wie ihre Hits sind diese Worthülsen, etwa zum Themenkomplex Männer, Sex und Religion: „Kruzifixe sind sexy, weil da ein nackter Mann drauf ist.“ Das Vorwort lobhudelte Sabrina Setlur. 1,5

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